
Die Rolle von Opel im Zweiten Weltkrieg und die Spuren des Luftschutzes in Rüsselsheim
Von einem deutschen Autoimperium zur amerikanischen Übernahme
Am 17. März 1929 verkauften die Brüder Wilhelm und Friedrich Opel 80 % der Firmenanteile an den amerikanischen Automobilkonzern General Motors (GM). Bis zu diesem Zeitpunkt war Opel der größte Autohersteller Deutschlands. Doch die weltweite Wirtschaftskrise machte es GM möglich, das Unternehmen im Jahr 1931 vollständig zu übernehmen. Trotz der politischen Umbrüche in Deutschland und dem Aufstieg der NSDAP zog sich GM nicht aus Rüsselsheim zurück – im Gegenteil: Jüdische Mitarbeiter wurden entlassen oder in die USA versetzt, um sich dem Zugriff der Nationalsozialisten zu entziehen.
Die zivile Automobilproduktion lief zunächst weiter und wurde erst 1940 auf direkte Anordnung der Reichsregierung eingestellt. Stattdessen begann die Fertigung von Lastkraftwagen für das Militär: Der Opel Blitz S wurde zum wichtigsten Transportmittel der Wehrmacht und entwickelte sich zum militärischen Pendant zum Volkswagen Käfer, der als das „Auto des Volkes“ galt. Durch die moderne Fließbandtechnik, die GM bereits in die Produktion eingeführt hatte, war es Opel möglich, schnell auf die Produktion von Torpedos und Raketenteilen umzusteigen. Selbst Flugzeugteile für die Junkers Ju 88 und die Messerschmitt Me 262, das erste serienmäßig eingesetzte Düsenflugzeug der Welt, wurden in Rüsselsheim gefertigt.
Strategisches Ziel der Alliierten: Die Bombennächte von 1944
Die alliierten Streitkräfte setzten während des Krieges auf gezielte Luftangriffe, um wichtige strategische Produktionsstandorte zu zerstören – so rückte auch Rüsselsheim ins Visier. Insgesamt kam es zu sechs Luftangriffen auf die Stadt, bei denen 500 Menschen ums Leben kamen und ein Drittel aller Wohnungen zerstört wurde.
Die schwersten Bombennächte waren am 13. August sowie am 25./26. August 1944. Beide Nächte endeten in schweren Tragödien:
• 13. August 1944 – Die Bombennacht von Königstädten
Die Bomben sollten das Opelwerk treffen, verfehlten jedoch ihr Ziel und zerstörten stattdessen große Teile von Königstädten. Diese Nacht wurde zu einem der schlimmsten Ereignisse in der Stadtgeschichte und ist bis heute als die “Rüsselsheimer Bombennacht”bekannt.
• 26. August 1944 – Lynchmorde in Rüsselsheim
In der Nacht auf den 26. August kam es zu einem weiteren schweren Angriff. Währenddessen wurden acht abgeschossene US-Soldatenvon deutschen Zivilisten gefangen genommen. Was folgte, ist eines der dunkelsten Kapitel der Stadtgeschichte: Rund 100 Rüsselsheimer verfolgten die alliierten Soldaten, sechs von ihnen wurden brutal gelyncht.
Der Luftschutz in Rüsselsheim – Spuren der Vergangenheit
Um sich vor den Luftangriffen zu schützen, gab es in Rüsselsheim insgesamt zwei große Luftschutzbunker, die Platz für jeweils 3.000 Menschen boten. Doch bei einer Einwohnerzahl von etwa 15.000 Menschen war das viel zu wenig. Deshalb wurden alternative Schutzmaßnahmen getroffen:
• Splitterschutzgräben wurden ausgehoben.
• Luftschutzkeller wurden in Wohnhäusern eingerichtet.
• Häuser mit Schutzräumen wurden mit fluoreszierender Farbe am Sockel markiert.
Diese Markierungen bestanden aus drei großen weißen Buchstaben: “LSR” – sie standen für Luftschutzraum und sollten in der Dunkelheit schnell sichtbar sein. Ein solches Zeichen ist bis heute an einem Haus in der Königstädter Straße in der Arbeitersiedlung zu erkennen.
Vergessene Relikte – Ohne Denkmalschutz, aber mit großer Bedeutung
Leider stehen solche Luftschutz-Markierungen nicht unter Denkmalschutz. Dabei sind sie wichtige Zeitzeugen einer dunklen und zerstörerischen Epoche. Diese drei Buchstaben – LSR – erzählen eine Geschichte von Angst, Zerstörung und Überleben.
Sie erinnern an eine Zeit, in der Menschen in ihren Kellern Schutz suchten, während über ihnen Bomben fielen. Eine Zeit, die nicht vergessen werden darf – nicht nur in Rüsselsheim, sondern überall.
Fazit: Die Vergangenheit sichtbar machen
Rüsselsheim hat eine bewegte Geschichte, in der Fortschritt und Zerstörung eng miteinander verknüpft sind. Die Spuren des Krieges sind vielerorts verschwunden – doch manche Relikte, wie der LSR-Schriftzug in der Königstädter Straße, sind bis heute sichtbar. Vielleicht ist es an der Zeit, diese unscheinbaren Erinnerungen zu schützen, um zukünftigen Generationen die Geschichten zu erzählen, die sie bewahren müssen.
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