

Der Bauschheimer Schellenmann
Der Bauschheimer Schellenmann – Wenn Kunst aus der Gemeinschaft wächst
Kunst im öffentlichen Raum ist oft mit großen Namen verbunden, mit Kunst-am-Bau-Projekten, mit städtischen Initiativen oder mit Denkmalpflege. Doch manchmal entsteht sie einfach aus der Mitte der Gesellschaft – aus privater Initiative, aus dem Wunsch, Geschichte sichtbar zu machen und Identität zu stiften. Der Bauschheimer Schellenmann ist genau so ein Beispiel.
Ein Wahrzeichen aus der Vergangenheit
Der Schellenmann war einst eine zentrale Figur im dörflichen Leben. Mit seiner Glocke kündigte er Neuigkeiten an, verlas amtliche Bekanntmachungen oder informierte über Markttage. In einer Zeit, in der es noch keine Zeitung für alle gab, geschweige denn Internet oder soziale Medien, war er das Sprachrohr der Gemeinde – und damit ein lebendiger Bestandteil der lokalen Identität.
Vom Erinnern zum Erschaffen
Es war nicht die Stadtverwaltung, die diese Figur als Denkmal setzte. Es war kein Wettbewerb und keine staatliche Kulturförderung. Es waren Bauschheimer Bürgerinnen und Bürger, die erkannten, dass der Schellenmann ein Symbol für ihr Viertel, ihre Geschichte und ihre Erinnerungen ist. So wurde die bronzene Statue durch privates Engagement ins Leben gerufen – eine Art kollektive Geste, die zeigt, dass Menschen ihre Geschichte nicht nur bewahren, sondern ihr auch Raum geben können.
Mehr als ein Denkmal – Ein Teil der Identität
Heute steht der Schellenmann in Bauschheim als eine Art stiller Chronist vergangener Zeiten. Er erinnert nicht nur an eine alte Tradition, sondern auch daran, dass Orte durch die Geschichten ihrer Bewohner geprägt werden. Dass Kunst im öffentlichen Raum nicht nur aus millionenschweren Skulpturen oder urbanen Interventionen bestehen muss, sondern auch aus solchen ganz direkten Verbindungen zwischen Menschen und ihrer Umgebung.
Der Schellenmann von Bauschheim – Ein Denkmal für den Ortsdiener
Seit 2004 erinnert eine Bronzestatue in Bauschheim an den einstigen Ortsdiener der Gemeinde. Das 1,63 Meter große Denkmal wurde dank der Initiative von Heinz und Annelie Schneider errichtet, die dabei durch den Bauunternehmer Horst Trapp (1939–2020) Unterstützung fanden.
Die Idee, dem Ortsdiener ein Denkmal zu setzen, kam dem Ehepaar im Herbst 2000. Inspiriert wurden sie durch ähnliche Statuen in anderen Orten, wie etwa im rheinland-pfälzischen Göllheim. Der „Schellenmann“ in Bauschheim soll ein Denkmal für alle Bürger sein, wie die Schneiders in einem Interview 2020 betonten.
Von der Idee zur Umsetzung
Um für das Projekt zu werben, organisierten die Schneiders im Sommer 2001 ein Spendenfest. Es folgten weitere Veranstaltungen, auf denen sie die Bauschheimer von ihrer Idee überzeugen konnten.
Die Resonanz war überwältigend: Am Ende kamen so viele Spendengelder zusammen, dass die 11.235 Euro teure Statue vollständig finanziert werden konnte. Zusätzlich stiftete Horst Trapp einen Sandsteinsockel, auf dem der Ortsdiener schließlich seinen Platz fand (vgl. Thomas 2004).
Der Künstler und die Gestaltung
Der Künstler Klemens Pompetzki (1932–2019) orientierte sich bei der Gestaltung der Statue an einer Fotografie des letzten Bauschheimer Ausrufers Richard Daum. Sein Gipsentwurf diente als Vorlage für den Bronzeguss, den Steffen Ranft von der Glocken- und Kunstgießerei Rincker aus Sinn übernahm (vgl. Thomas 2004).
Am 3. Juli 2004 wurde das Denkmal feierlich in der Bauschheimer Brunnenstraße enthüllt – im Rahmen eines großen Bürgerfestes.
Die historische Bedeutung des Ortsdieners
Die Statue erinnert an die einstige Rolle des Ortsdieners, der bis 1958 in Bauschheim offizielle Mitteilungen ausrief (vgl. Senska 2006, 99). Er fuhr mittags mit dem Fahrrad durch den Ort, hielt an jeder Straßenecke an und läutete mit seiner Glocke. Dann verkündete er wichtige Informationen, wie:
- Termine der Müllabfuhr
- Anstehende Feste
Wegen seiner Glocke wurde er auch als Ausscheller oder Schellenmann bezeichnet. Doch das war nicht seine einzige Aufgabe:
- Er pflegte die Obstbäume der Gemeinde.
- Er war für die Faselhaltung (Zuchttierhaltung) zuständig.
Diese Aufgaben übernahm er mit großer Hingabe, wie Horst Guthmann und Rudolf Kowallik in einem Interview 2020 erklärten.
Der Schellenmann heute
Mit dem Denkmal wollten das Ehepaar Schneider und Horst Trapp eine bleibende Erinnerung an Alt-Bauschheim schaffen. Viele ältere Bauschheimer kannten den letzten Ausrufer, Richard Daum, noch persönlich.
Mittlerweile ist die Statue nicht nur ein Stück lokale Erinnerungskultur, sondern auch ein Identifikationspunkt für den ganzen Ort. Der Schellenmann ist aus Bauschheim nicht mehr wegzudenken.
Quellen und Literatur
Text: Theresa Pape & Paula Onusseit
Interviews:
- Interview mit Horst Guthmann und Rudolf Kowallik, geführt am 31. Januar 2020.
- Interview mit Heinz und Annelie Schneider, geführt am 31. Januar 2020.
Literatur:
- Senska, Gudrun (Hg.) (2006). Rüsselsheim wächst zusammen 1945–1970. Erfurt.
- Thomas, Peter (2004). Neuer Schnurrbart kurz vor dem Guss. Rüsselsheimer Echo, 15. März.
Interview zur Entstehung des Ortsdiener-Denkmals in Bauschheim
Datum des Interviews: 31. Januar 2020
Geführt von: Theresa Pape und Paula Onusseit
Kontext: Studentische Forschungsarbeit der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zur Denkmal- und Erinnerungskultur in Rüsselsheim am Main
Die Idee hinter dem Denkmal
- Der Begriff „Schellenmann“ war früher kaum gebräuchlich – es hieß eher Ortsdiener oder Gemeindediener.
- Inspiration durch ähnliche Statuen in anderen Orten, z. B. in Bodenheim und Göllheim (in Rheinland-Pfalz verbreitet).
- Erinnerung an Alt-Bauschheim, da der letzte Ortsdiener Richard Daum noch vielen bekannt war.
- Die Idee entstand im Herbst 2000, erste Vorstellungen im Frühjahr 2001.
- Zur Werbung für das Projekt wurde eine Figur des Bildhauers Theo Rörig aus Göllheim für ein Spendenfest geliehen.
- Die Skulptur wurde sogar im eigenen Garten aufgestellt, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.
Finanzierung & Kosten
- Ursprünglich war eine überlebensgroße Figur geplant, Kosten: 18.000–20.000 €.
- Aufgrund der hohen Kosten wurde die Idee angepasst: kleinere Figur auf einem Sockel, ähnlich dem Schoppestecher am Proviantamt in Mainz.
- Gesamtkosten des Projekts: 11.235 €.
- Ein Spendenfest am 4. August 2001 brachte erste 4.500 DM ein.
- Weitere Spendenaktionen:
- Pflanzenbörse
- Kleiderbasar
- Weihnachtsbaumschmücken
- Veranstaltung im Bürgerhaus mit Peter Beck („Begge Peder“)
- Spenden kamen vor allem durch die Bekanntheit und das Engagement von Heinz und Annelie Schneider (Gesangsverein, CDU-Politik) zustande.
- Projektmotto: „Von Bauschheim für die Bauschheimer“ (Zitat Heinz Schneider).
Gestaltung & Umsetzung
- Standort vor historischem Hintergrund (Fachwerkhäuser in der Brunnenstraße, ehemals Hauptstraße).
- Entwurf und Modell: Clemens Pompetzki.
- Guss der Statue: Steffen Ranft (Gießerei Rincker).
- Einweihung mit großem Straßenfest am 3. und 4. Juli 2004.
Symbolik und Design
- Frage nach der Position der Glocke → Am unteren Bereich getragen, wie auf historischen Bildern von Richard Daum.
- Keine Uniform, sondern normale Arbeitskleidung.
- Überlegung, eine Batschkapp als Kopfbedeckung zu wählen – wurde aber nicht realisiert.
- Der Sockel wurde von Horst Trapp aus Sandstein gefertigt und gespendet.
Nach der Einweihung
„Nach der Einweihung haben wir den Ortsdiener feierlich dem Magistrat der Stadt Rüsselsheim übergeben.“ (Zitat Heinz Schneider)
Bedeutung des Denkmals
- „Da hängt sehr viel Herzblut dran.“ (Zitat Heinz Schneider)
- Wichtiger Identifikationspunkt für Bauschheim.
- Einziger „Wermutstropfen“: Das Beet vor dem Denkmal wird weiterhin von den Schneiders gepflegt, obwohl es offiziell in der Obhut der Stadt ist.
Erinnerungskultur rund um das Denkmal
- 5-Jahres-Jubiläum: Umtrunk & Politur der Statue.
- 10-Jahres-Jubiläum: Feierlicher Umtrunk.
- 15-Jahres-Jubiläum: Privater Umtrunk, da Finanzierung schwierig und Horst Trapp erkrankt war.
Fragen zu weiteren Denkmälern
- Frage nach dem Denkmal „Frau“, das in Zeitungsartikeln erwähnt wurde → Tatsächlich war es die Skulptur „Die Nachbarin“ von Martin Kirstein.
- Nach dem Verkauf der Gaststätte „Frau“ wurde auch die Skulptur verkauft, die Stadt Rüsselsheim wollte sie nicht übernehmen.
- Die Skulptur hat nichts mit dem Ortsdiener zu tun, sondern wurde nur zur gleichen Zeit öffentlich diskutiert.
Frage zum Namen „Schwarzer Wolf“
- Bezeichnung geht auf einen Bürger Bauschheims mit schwarzen Haaren zurück.
- Galt als Vorgänger von Richard Daum, lief früher ebenfalls durch den Ort.
Quellen
- Interview mit Horst Guthmann und Rudolf Kowallik, geführt am 31. Januar 2020.
- Interview mit Heinz und Annelie Schneider, geführt am 31. Januar 2020.
- Senska, Gudrun (Hg.) (2006). Rüsselsheim wächst zusammen 1945–1970. Erfurt.
- Thomas, Peter (2004). Neuer Schnurrbart kurz vor dem Guss. Rüsselsheimer Echo, 15. März.