
Ferdinand Lassalle – Ein Denkmal für den Arbeiterführer an einem Platz zwischen Vergangenheit und Vergessen
1993 erhielt die Stadt Rüsselsheim eine besondere künstlerische Ergänzung im öffentlichen Raum: Eine 2,50 Meter hohe Skulptur, die das abstrahierte Konterfei von Ferdinand Lassalle darstellt. Geschaffen wurde sie von den Künstlern Traiser & Wenzel, die eine 6 cm dicke Aluminiumplatte als Ausgangsmaterial verwendeten.
Die Wahl des Standorts ist keineswegs zufällig: Der Lassalleplatz, benannt nach dem bedeutenden Arbeiterführer, war einst einer der prominentesten Plätze Rüsselsheims. Direkt an der Stadthalle gelegen, sollte er ein zentraler Ort für politische, kulturelle und gesellschaftliche Veranstaltungen sein. Doch heute wirkt er wie ein vergessenes Relikt einer anderen Zeit – abgeschnitten von der Innenstadt durch die Gleise und kaum noch genutzt.
Wer war Ferdinand Lassalle?
Ferdinand Lassalle (1825–1864) war einer der wichtigsten politischen Vordenker der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert und Mitbegründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV), der als Vorgängerpartei der SPD gilt. Sein politisches Wirken war geprägt von der Forderung nach Arbeiterrechten, sozialer Gerechtigkeit und politischer Partizipation der breiten Bevölkerung.
Lassalle kämpfte für:
• Allgemeines, gleiches und direktes Wahlrecht, das in seiner Zeit nur einer privilegierten Schicht vorbehalten war.
• Bildung für alle, um gesellschaftliche Aufstiegschancen zu ermöglichen.
• Selbstverwaltete Arbeiterorganisationen, um sich von der Abhängigkeit der Kapitalisten zu lösen.
Sein früher Tod – er starb 1864 durch ein Duell – verhinderte, dass er seine Ideen weiter umsetzen konnte. Doch seine Visionen legten den Grundstein für die späteren sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Bewegungen in Deutschland.
Der Lassalleplatz – Von einstigem Zentrum zur Randlage
Der Lassalleplatz war einmal ein wichtiger öffentlicher Ort in Rüsselsheim. Direkt an der Stadthalle gelegen, war er Schauplatz von Demonstrationen, Kundgebungen, Kulturveranstaltungen und Märkten. Doch mit den Jahrzehnten hat sich das Stadtbild verändert:
• Die Innenstadtentwicklung konzentriert sich mittlerweile auf andere Bereiche.
• Die Stadthalle, einst ein lebendiger Veranstaltungsort, steht heute größtenteils leer oder wird nur sporadisch genutzt.
• Die Lage hinter den Bahngleisen trennt den Platz gefühlt von der Stadt – er ist kein natürlicher Treffpunkt mehr.
Während Ferdinand Lassalle für gesellschaftlichen Fortschritt und politische Teilhabe stand, wirkt der nach ihm benannte Platz heute fast vergessen. Das Denkmal steht in einem Spannungsfeld zwischen Vergangenheit und Bedeutungslosigkeit – ein Mahnmal für den Wandel der Stadt, der Orte ihrer Geschichte zurücklässt.
Kunst im öffentlichen Raum als Erinnerung
Die Skulptur von Traiser & Wenzel ist ein Beispiel dafür, wie Kunst im öffentlichen Raum zum Nachdenken anregen kann. Durch die abstrahierte Darstellung bleibt das Werk offen für Interpretation: Es ist kein heroisches Monument, sondern eine minimalistische, fast zurückhaltende Präsenz, die jedoch mit ihrer imposanten Größe ins Auge fällt.
Heute, fast 30 Jahre nach der Errichtung, ist die Frage aktueller denn je:
Welche Rolle spielen Arbeiterrechte, soziale Gerechtigkeit und Demokratie in unserer Zeit?
Und ebenso: Wie gehen Städte mit ihrem öffentlichen Raum um? Welche Orte verdienen es, belebt und erhalten zu werden?
Das Lassalle-Denkmal erinnert nicht nur an einen bedeutenden Vordenker, sondern auch an einen Platz, der einst eine Rolle spielte – und heute vielleicht wieder eine neue finden sollte.