Löwenskulptur*

21. August 2017

Majestätisch und zufrieden prangt der Bronzelöse aus dem Jahre 1974 am Löwenplatz. Die 3,10 m lange und 1,70 m hohe Plastik auf einem Steinsockel ist nicht nur der Namensgeber für den Platz, sondern entstand in Anlehnung an die vorbeiführende Straße.

 

Der Löwe ist ein Geschenk der traditionsreichen Rüsselsheimer Volksbank an die Innenstadt und wurde von dem in Bad Soden ansässigen Bildhauer Hans Wagner gestaltet. Er schuf eine sehr markante Plastik, die die Rüsselsheimer Innenstadt mitgeprägt hat und sich sogar als Logo für die Löwenpassage etablierte.

 

Die Rüsselsheimer Volksbank wurde 1863 von 47 Rüsselsheimer Gewerbetreibenden gegründet, um dem Wucher zur damaligen Zeit entgegenzutreten. Dabei folgte man dem Genossenschaftsprinzip:

„Mehrere kleine Kräfte vereint bilden eine große Gemeinschaft, und was man nicht allein durchsetzen kann, dazu soll man sich mit anderen verbinden.“

 

 

Tagtäglich kreuzen Denk- und Kunstmäler unsere Wege, tagtäglich passieren wir ihre Standorte – ob wir sie jedoch, bewusst oder unbewusst, wahrnehmen, ist eine andere Geschichte.
Sind sie erst „Bestandteil des öffentlichen Stadtbilds“, werden sie oftmals vergessen und bewirken damit „das Gegenteil ihrer eigentlichen Intention und Aufgabe – zu erinnern“ (Schmoll 2005, 1).

Dass genau dieser Fall öfter eintritt, als man vermutet, kann am Beispiel der
Löwens
kulptur in der Rüsselsheimer Innenstadt verdeutlicht werden. Nachdem in den 50er-Jahren die großen Flächen am Rathausplatz, Friedensplatz und Bahnhofsplatz neu gestaltet worden waren, nahmen sich die Verantwortlichen der Stadt in den 60er- und 70er-Jahren die weitere Innenstadtsanierung und systematische Aufwertung des Zentrums vor:

Mit der Neubebauung des Europa- und Löwenplatzes standen im Jahr 1974 zwei Großprojekte an (vgl. Otto 1981, 187).
„Die Vielfalt der Formen und Anlässe für Denkmalsetzungen ist fast unüberschaubar“ (Schmoll 2005, 4) – im Falle der Löwenskulptur war die Sanierung des Löwenplatzes einzig und allein der Grund für ihre Denkmalsetzung, was mit der folgenden Ausarbeitung deutlich werden soll.

Die Löwenskulptur des Bad Sodener Bildhauers Hans Wagner (1905–1982) befindet sich streng genommen nicht direkt auf dem Löwenplatz, sondern in unmittelbarer Reichweite in der Bahnhofstraße 15–17 direkt vor der Filiale der Rüsselsheimer Volksbank. Die 700 Kilogramm schwere Skulptur, die in einer Herborner Gießerei in Bronze gegossen wurde (vgl. Rüsselsheimer Echo, 04.11.1974), besitzt eine Länge von mehr als drei Metern und eine Höhe von 1,70 Metern (vgl. Otto 1988, 60). „In majestätischer Haltung verharrend“ (ebd.) blickt er in Richtung des damals ebenso neu gestalteten Europaplatzes und steht direkt vor dem Gebäude seines Spenders, der Volksbank.

Eingeweiht wurde die Skulptur am 2. November 1974, einem Samstag, im Rahmen des jährlich stattfindenden City-Festes (vgl. Rüsselsheimer Echo, 04.11.1974). Auch der Künstler der Skulptur war an diesem Tag anwesend. Hans Wagner hatte sich vor allem durch Tierskulpturen in ganz Deutschland sowie durch die Gestaltung mehrerer katholischer Kirchen im Bistum Mainz einen Namen gemacht. Die Rüsselsheimer Löwenskulptur war eines seiner letzten Werke, deren Erschaffung nach Ansicht seiner 2018 befragten Nichte Helga Wagner „sehr aufwendig für die damalige Zeit“ gewesen sei.
Anzumerken ist jedoch, dass bei der Einweihung auf dem City-Fest nicht die Skulptur, sondern vielmehr der Abschluss der ersten Sanierungsetappe der Rüsselsheimer Innenstadt sowie die offizielle Eröffnung einer dreistöckigen Tiefgarage unter dem Löwenplatz im Vordergrund standen (Rüsselsheimer Echo, 04.11.1974). In den Reden an diesem Tag wurde die „vorbildliche Leistung“ (ebd.) beim Bau betont und hervorgehoben, dass der Übergang „vom Dorf- zum Stadtzentrum“ (ebd.) in einer Zeitspanne von insgesamt zehn Jahren gelungen sei.
Die Enthüllung der Löwenskulptur erfolgte dann „mit vereinten Kräften der Prominenz“ (Main-Spitze, 04.11.1974). „Kein Denkmal für oder von Baulöwen, sondern ein Beitrag zur Ausgestaltung und Verschönerung der Fußgängerzone“, so bezeichnete der damalige Vorsitzende des Aufsichtsrats der Rüsselsheimer Volksbank, Adam Enders, die Skulptur, als er die Spende seines Geldinstituts, auch im Namen des Gewerbevereins, in die Obhut des Stadtoberhauptes, Bürgermeister Dr. Karl-Heinz Storsberg, übergab (Rüsselsheimer Echo, 04.11.1974).

Genau jener Gewerbeverein ließ auch am Tag des City-Festes 1.000 kleine Löwen von einer örtlichen Bäckerei herstellen: Sie sollten eine „leckere Nachbildung“ der Skulptur sein und wurden an die Kinder verteilt, die sich am Abend an einem Lampion-Umzug durch die Stadt beteiligen konnten (Rüsselsheimer Echo, 02.11.1974).
Wie schon angeführt, rückte die Löwenskulptur selbst am Tag ihrer Ent-hüllung also eher in den Hintergrund. Generell blieben die Umgestaltung des Löwenplatzes und der Bau der Tiefgarage nicht ohne Gegenstimmen aus der Bevölkerung: In den insgesamt eineinhalb Baujahren klagten die Anwohner vermehrt über die Baubelästigungen, die „weitaus intensiver, weil länger anhaltend“ (Rüsselsheimer Echo, 19.09.1974) gewesen sein sollen als ursprünglich versprochen.

Zudem sah sich der Einzelhandel rund um die Baustelle als gefährdet an, da die Geschäfte nicht mehr gut zu erreichen waren und sich somit der Besucherandrang reduzierte (vgl. ebd.). Im Vorfeld der Einweihung des Platzes kam zudem die Kritik auf, dass „den Bürgerzusammenhalt fördernde Maßnahmen“, wie etwa der Bau eines Spielplatzes, weiterer Sitzbänke oder eines Brunnens, bei der Umgestaltung vernachlässigt wurden (vgl. Rüsselsheimer Echo, 02.02.1974).

Vonseiten der Politik gab es auch einige negative Stimmen: So bezeichnete der damalige SPD-Stadtverordnete Joachim Gönner den Löwenplatz als „völlig verbaute[n] Platz im Herzen der City“ und meinte, dass „[d]ie Chance, einen Anziehungspunkt für die City zu gewinnen“, vertan worden sei (vgl. ebd.).
Auch nach der Einweihung des Platzes und der Tiefgarage war noch für Gesprächsstoff gesorgt: Schon rund zwei Wochen später wurde die Tiefgarage temporär abgesperrt, weil es „neben umfangreichen Verschmutzungen schon zu Zerstörungen und auch Wagenaufbrüchen gekommen“ (Rüsselsheimer Echo, 18.11.1974) war. Ein „Großteil der Verschmutzungen“ habe hierbei „zweifelsfrei im Zusammenhang mit dem City-Fest“ (ebd.) gestanden.

Inzwischen ist der Löwenplatz in die Jahre gekommen und verlangt nach einer stadtplanerischen Neugestaltung, die nach früheren Bemühungen um die Jahrtausendwende (vgl. Rüsselsheimer Echo, 21.07.1999, Main-Spitze, 18.08.2000, Rüsselsheimer Echo, 16.10.2004) 2018 erneut in Angriff genommen wurde. Welche Bedeutung der Löwenskulptur dabei in Zukunft beigemessen wird, bleibt abzuwarten.

Literatur

Otto, Rudolf (1981). Baukräne über Rüsselsheim: 25 Jahre Stadtentwicklung (1950–75). Rüsselsheim.
Otto, Rudolf (1988). Kunstdenkmäler und Kunst am Bau in Rüsselsheim. Rüssels-heim.
Schmoll, Friedemann (2005). Denkmal. Skizzen zur Entwicklungsgeschichte eines öffentlichen Erinnerungsmediums. Jahrbuch für deutsche und osteu-ropäische Volkskunde, 47, 1–16.

Quellen

Rüsselsheimer Echo vom 02.02.1974, 11.06.1974, 01.07.1974, 19.09.1974, 02.11.1974, 04.11.1974, 18.11.1974, 21.07.1999, 16.10.2004 (Stadtarchiv Rüsselsheim).
Main-Spitze vom 04.11.1974, 18.08.2000 (Stadtarchiv Rüsselsheim).


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