HOTEL ADLER

Das Hotel Adler – Ein Relikt aus einer anderen Zeit?

Die Frankfurter Straße in Rüsselsheim ist eine der ältesten Straßen der Stadt und war lange Zeit eine pulsierende Lebensader des städtischen Lebens. Eines der traditionsreichsten Gebäude an dieser Straße ist das Hotel Adler, dessen Eingangsschild stolz das Baujahr 1910 verkündet. Doch die Geschichte dieses Hauses reicht deutlich weiter zurück – und sie erzählt nicht nur von Glanz und Tradition, sondern auch von Wandel und Vergänglichkeit.

Die Ursprünge des Adlers (1750–1906)

Bereits im Jahr 1750 wurde an dieser Stelle das erste Gebäude mit dem Namen “Adler” errichtet. Über Jahrzehnte hinweg war es ein beliebtes Restaurant und Gasthaus, das Reisende und Einheimische gleichermaßen bewirtete. Doch die Konstruktion aus Holz hatte ihre Schwächen: 1906 musste das Gebäude aufgrund maroder Bausubstanz abgerissen werden.

Das neue Hotel mit Ballsaal (1910)

Vier Jahre später, 1910, entstand an derselben Stelle das Hotel Adler, nun mit einem prächtigen Ballsaal – ein Ausdruck der aufkommenden bürgerlichen Kultur jener Zeit. Damals war Rüsselsheim nicht nur eine Arbeiterstadt, sondern auch ein Ort gesellschaftlichen Lebens. In einem Ballsaal wie diesem wurden Hochzeiten gefeiert, Tanzabende veranstaltet und kulturelle Events abgehalten.

Die “Eiserne Jungfrau” – Eine Tankstelle am Hotel

In den 1930er Jahren hatte das Hotel eine ungewöhnliche Ergänzung: eine Zapfsäule für Benzin, die damals den klangvollen Namen „Eiserne Jungfrau“ trug. Dabei handelte es sich nicht um ein Folterinstrument aus dem Mittelalter, sondern um eine gängige Praxis der frühen Automobilindustrie.

Da es damals noch keine flächendeckenden Tankstellen gab, war der Verkauf von Kraftstoff ein Nebenverdienst für Hotels, Apotheken und Gaststätten. Autofahrer konnten hier nicht nur übernachten und speisen, sondern auch ihr Fahrzeug auftanken – eine interessante Verbindung zwischen Gastfreundschaft und Mobilität.

Die Zerstörung der Innenstadt im Zweiten Weltkrieg

Die Rüsselsheimer Innenstadt hat – im Vergleich zu anderen Städten mit einer ähnlich langen Geschichte – nur wenige historische Gebäude bewahrt. Das liegt vor allem an der strategischen Bedeutung der Stadt während des Zweiten Weltkriegs.

Durch die Opel-Werke war Rüsselsheim ein zentraler Produktionsstandort für die deutsche Rüstungsindustrie, was die Stadt zu einem militärischen Ziel der Alliierten machte. Schwere Bombenangriffe zerstörten große Teile der Innenstadt – und mit ihnen zahlreiche historische Gebäude, die heute nur noch in Archiven und alten Fotografien existieren.

Das Hotel Adler überstand diese Angriffe und gehört somit zu den wenigen Zeugen der alten Zeit, die noch heute stehen.

Das Hotel Adler heute – Ein Ort zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Heutzutage bietet das Hotel 24 Zimmer, ein à la carte Restaurant und einen Ballsaal. Doch während der Name “Adler” früher für gesellschaftlichen Glanz und Kultur stand, stellt sich heute die Frage, ob es sich nur noch um einen Schatten seiner Vergangenheit handelt.

Viele historische Gebäude in Rüsselsheim haben in den letzten Jahrzehnten ihren einstigen Glanz verloren. Die Innenstadt kämpft mit den Auswirkungen des Strukturwandels: Wo früher Tanzbälle und Feiern stattfanden, sind heute oft leere Räume oder modernisierte Konzepte, die nur bedingt an die alte Blütezeit erinnern.

Freiraum für Kunst – Ein neuer Ansatz für die Innenstadt

Die Frage, wie die Rüsselsheimer Innenstadt wiederbelebt werden kann, hat mich persönlich immer beschäftigt. Gemeinsam mit Dr. Karin Mairitsch habe ich deshalb den Freiraum F3 in der Frankfurter Straße ins Leben gerufen.

Mit der Aktion „10m Freiheit“ haben wir einen Leerstand kreativ genutzt, um zu zeigen, dass die Innenstadt nicht nur aus verlassenen Geschäften besteht – sondern auch neue Impulse möglich sind. Heute wird der F3 als Künstlerresidenz genutzt und monatlich an junge Künstler vergeben, um ihnen eine Plattform für ihre Arbeiten zu bieten.

Der Freiraum F3 ist ein Zeichen dafür, dass Innenstadtentwicklung nicht nur mit Handel, sondern auch mit Kunst und Kulturfunktionieren kann. Denn wenn wir Rüsselsheim wieder zu einem lebendigen Ort machen wollen, dann müssen wir neue Wege gehen – und manchmal einfach den Raum nutzen, der bereits da ist.

Kritische Betrachtung – Was bleibt vom alten Glanz?

Das Hotel Adler ist ein Symbol für die sich verändernde Identität Rüsselsheims. Einst ein Ort der Geselligkeit, wo Menschen zusammenkamen, um zu feiern und zu genießen, scheint heute ein Stück dieser Lebendigkeit verschwunden zu sein.

Es ist bezeichnend, dass viele dieser alten Gesellschaftshäuser entweder modernisiert oder aufgegeben wurden. Rüsselsheim war einst eine Stadt des Aufbruchs, ein Zentrum der Mobilität und Innovation. Doch heute, in Zeiten des Strukturwandels, bleibt die Frage: Wie kann man historische Orte in eine moderne Stadt integrieren, ohne dass sie nur noch Kulisse der Vergangenheit sind?

Vielleicht ist es gerade der Ballsaal des Hotel Adlers, der eine Antwort geben kann. Wenn dieser Ort wieder mit Kultur, Tanz und Begegnung gefüllt wird, könnte er mehr sein als nur ein Relikt der Vergangenheit – sondern ein Teil der lebendigen Stadtgeschichte, die weitergeschrieben wird.

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