

Rüsselsheim und der Rennsport – Eine vergessene Legende auf zwei und vier Rädern
Bevor Namen wie Walter Röhrl mit dem Ascona 400 oder die DTM mit dem Calibra den Motorsport mit Opel prägten, gab es eine Zeit, in der Rüsselsheim selbst das Zentrum des Rennsports war.
Die schnellste Rennstrecke Europas – in den 1920er-Jahren war das kein Titel für den Nürburgring oder den Hockenheimring, sondern für eine Rennbahn mitten in Rüsselsheim.
Der Opel-Ring – Ein Ovalkurs, der Geschichte schrieb
Von 1919 bis 1930 befand sich hier eine der beeindruckendsten Rennstrecken Europas:
- Ein Ovalkurs mit hohen Steilwandkurven, der Geschwindigkeiten von bis zu 140 km/h ermöglichte – ein Wahnsinnstempo für die damalige Zeit.
- Die Strecke wurde sowohl für Rennen als auch als Opel-Teststrecke genutzt.
Die Strecke war Schauplatz zahlreicher technischer Meilensteine, darunter der Test des legendären Raketenwagens Opel RAK1 im Jahr 1928 – eine Revolution in der Automobilgeschichte.
Doch bereits in den 1930er-Jahren verloren die Rennen in Rüsselsheim an Bedeutung. Der Nürburgring und der Hockenheimring zogen das Publikum und die Fahrer zunehmend an. 1946 wurde die Rennbahn schließlich stillgelegt.
Rennsport in Rüsselsheim – Mehr als nur Opel-Klassiker
Viele verbinden den Motorsport mit Opel erst mit Walter Röhrl und dem legendären Ascona 400, der 1982 die Rallye-Weltmeisterschaft gewann. Oder mit dem Calibra V6, der Mitte der 90er-Jahre die DTM aufmischte.
Doch der Rennsport in Rüsselsheim begann viel früher. Bereits in den 1910er- und 1920er-Jahren fanden hier hochkarätige Rennen statt. Neben den Automobilen waren es vor allem Motorradrennen, die tausende Zuschauer anzogen. Opel war nicht nur im Automobilbau aktiv, sondern fertigte auch Motorräder – eine Geschichte, die oft in Vergessenheit gerät.
In seiner Blütezeit zog die Rennstrecke bis zu 50.000 Menschen an. Rüsselsheim war ein Motorsport-Hotspot, lange bevor Opel in der Rallye-WM oder auf der Rundstrecke triumphierte.
Was von der Rennstrecke geblieben ist
Heute hat sich die Natur das Gelände zurückerobert. Von der einstigen Hochgeschwindigkeitsstrecke sind nur noch wenige Überreste zu erkennen. Tief im Wald verborgen, lassen sich Teile der Strecke noch erahnen – ein Stück Motorsportgeschichte, das langsam von der Natur verschluckt wird.
Doch für diejenigen, die sich die Zeit nehmen, gibt es einen Ort, an dem man den Geist vergangener Tage noch spüren kann:
- Eine Aussichtsplattform mit historischen Bildern erinnert an die einstige Rennbahn.
- Und wer sich mitten in den Wald stellt, die Augen schließt und tief einatmet, der kann ihn vielleicht noch hören – den Klang der Motoren, das Echo einer Ära, die nie ganz verschwunden ist.
Die Opel-Rennbahn – Rüsselsheims vergessene Rennsport-Legende
Die Anfänge der Rennbahn
Die ersten Hinweise auf den Bau einer Opel-Rennbahn finden sich im Stadtarchiv Rüsselsheim in Form eines Antrags an den Gemeinderat vom 17. Dezember 1914. Darin wird um eine Herabsetzung der Kiespreise für den Bau einer „Einfahrbahn“ am Hof Schönau südlich der Stadt gebeten. Die Notwendigkeit war unbestreitbar: Das Opel-Werksgelände reichte für Testfahrten längst nicht mehr aus, und durch die rasante technische Entwicklung der Automobilindustrie wurden Testfahrten zunehmend in die Stadt und die Umgebung verlegt – sehr zum Unmut der Anwohner aufgrund der Lärmbelastung.
Aufgrund des steigenden politischen Drucks und auf Wunsch des Landgrafen wurde 1915 endgültig der Bau einer Teststrecke beschlossen. Mit der Planung wurde der Bischofsheimer Bauunternehmer Jakob Ritzert beauftragt, ein persönlicher Freund von Adam Opel. Dessen Sohn Carl Opel überwachte das Projekt, das schließlich 1917 mit den Bauarbeiten begann und zwei Jahre später abgeschlossen wurde.
Die schnellste Rennstrecke Europas
Die Opel-Rennbahn war ein 1,5 km langer, ovalförmiger Rundkurs mit einer Streckenbreite von zwölf Metern. Durch die Kurvenüberhöhungen von bis zu 32 Grad konnten Fahrzeuge Geschwindigkeiten von bis zu 140 km/h erreichen – ein damals unglaublich hohes Tempo. Diese Besonderheit brachte der Einfahrbahn bald den Ruf ein, die schnellste Rennstrecke Europas zu sein.
Die ersten Rennen auf der Opel-Bahn waren jedoch keine Autorennen, sondern Fahrradrennen. In den 1920er-Jahren war Opel einer der weltweit größten Fahrradhersteller. Zum Eröffnungsrennen am 30. Mai 1920 traten Mitglieder des Rüsselsheimer Radfahrer-Vereins „Vorwärts“ in verschiedenen Altersklassen gegeneinander an.
Doch schon wenige Monate später fand das erste Motorsportrennen statt: Am 24. Oktober 1920 wurde ein gemischter Wettbewerb für Automobile und Motorräder ausgetragen, an dem unter anderem Fritz und Hans von Opel teilnahmen.
Eine Dekade der Rennsportbegeisterung
Die 1920er-Jahre waren die goldene Ära der Opel-Rennbahn. Bereits 1923 traten dort die 46 besten Fahrer der Welt gegeneinander an, und über 50.000 Zuschauer verfolgten das Spektakel – eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass Rüsselsheim damals nur rund 8.000 Einwohner hatte.
Um einem so großen Publikum gerecht zu werden, wurde die nötige Infrastruktur geschaffen:
- Holztribünen umgaben die Rennstrecke.
- Fünf Ehrenlogen waren prominenten Gästen und der Opel-Familie vorbehalten.
- Ein Erdwall im Zentrum der Bahn diente als Stehplatz für Zuschauer.
- Essens- und Verkaufsstände versorgten die Besucher.
- 1925 wurde eine Fußgängerbrücke über die Fahrbahn gebaut.
Die Popularität der Rennstrecke nutzte Opel auch zu Werbezwecken: Die „Opel-Schau“ 1924 wurde zum Publikumsmagneten. Dabei wurde unter musikalischer Begleitung der Opel-Kapelle die gesamte Tagesproduktion des Werks präsentiert.
Raketenwagen auf der Rennbahn
Ein weiteres Highlight der Opel-Rennbahn waren die Raketenexperimente von Fritz von Opel. Im Jahr 1928 startete er eine Reihe von Versuchen mit Raketenantrieben. Der Opel-Ingenieur und Rennfahrer Kurt Volkhart führte am 12. März 1928 die erste Testfahrt mit einem Raketenfahrzeug auf der Strecke durch.
Während die ersten Tests noch unter Verschluss gehalten wurden, erregten spätere öffentliche Vorführungen riesiges Aufsehen und demonstrierten die Innovationskraft von Opel in den 1920er-Jahren.
Das Ende der Opel-Rennbahn
Der Erfolg der Rennbahn verblasste in den 1930er-Jahren. Die Anforderungen im Automobilbau wuchsen, und der Motorsport verlagerte sich zunehmend auf modernere Strecken. Mit der Eröffnung des Nürburgrings 1927 und des Hockenheimrings 1932 verlor die Opel-Rennbahn ihre Bedeutung.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Strecke endgültig stillgelegt. 1946 wurde sie nicht mehr genutzt, und drei Jahre später lief der Pachtvertrag mit dem Wasserwerk aus. Um eine weitere Nutzung der Bahn zu verhindern, wurden Löcher in den Beton gebohrt und Bäume gepflanzt, deren Wurzeln die Fahrbahn zerstören sollten.
Die Opel-Rennbahn heute
Heute gehört das Gelände der Stadt Mainz, die weiterhin das Wasserwerk betreibt. Die einstige Opel-Rennbahn ist nur noch in einigen Resten erhalten.
- 1987 wurde die Rennbahn als technisches Kulturdenkmal ausgewiesen.
- 2013 wurde die Nordkurve freigelegt und ein Besucherpodest errichtet.
- 2018 gründete sich der Verein „Kulturdenkmal OPEL Rennbahn e.V.“, der sich für den Erhalt und die Begehbarkeit der Rennstrecke einsetzt.
Eine vollständige Rekonstruktion der Strecke ist allerdings nicht mehr möglich. Durch den Bau der Landstraße L3012 wurde die einstige Opel-Rennbahn unwiederbringlich zerstört.
Quellen
Text und Foto: Paul Schöttl
Literatur
- Stadtarchiv Rüsselsheim (SAR): Akte 16.2, Rennbahn Prüffeld.