SCHAUBURG

Schauburg Rüsselsheim – Vom Filmpalast zum Veranstaltungsort

In der Bahnhofstraße Rüsselsheims steht ein Gebäude, das einst das kulturelle Herz der Stadt war: die Schauburg. Eröffnet im Jahr 1929, war sie über Jahrzehnte hinweg das größte Kino der Stadt und ein imposantes architektonisches Gegenstück zum gegenüberliegenden Opel-Werk. Während dort Automobile für die ganze Welt gefertigt wurden, war die Schauburg ein Ort des Träumens – ein Filmpalast, in dem Operetten- und Heimatfilme das Publikum begeisterten.

Die Geschichte der Schauburg ist eng mit der Familie Amsl verknüpft. Nachdem das ursprüngliche Kino, die „Rüsselsheimer Lichtspiele“, aus Platzgründen abgerissen wurde, ließ Josef Amsl ein neues, größeres Lichtspielhaus errichten. Bereits im Dezember 1929 feierte die neue Schauburg ihre Eröffnung – und beeindruckte nicht nur durch ihre Größe, sondern auch durch ihre Architektur.

Doch das Kino, das so viele Rüsselsheimer Kindheiten und Jugendjahre prägte, wurde im Winter 1943 durch Bomben zerstört. Die Nachkriegszeit brachte jedoch einen Neuanfang: Hans Amsl, Sohn des Kinogründers, baute die Schauburg 1950 originalgetreu wieder auf. Die Wiedereröffnung wurde groß gefeiert – mit Glückwünschen des Deutschen Filmtheaterverbands und einem Auftritt des bekannten Mainzer Fastnachtspräsidenten Rolf Braun.

In den 1950er Jahren war die Schauburg der Ort, an dem man Hollywoods Träume und europäische Filmkunst erleben konnte. Von den Wirtschaftswunder-Jahren bis in die frühen 70er war das Kino ein sozialer Treffpunkt – eine Zeit, in der das Kino mehr war als ein Ort zum Filme schauen, sondern ein gesellschaftliches Ereignis.

Doch mit der Verbreitung des Fernsehens und den sich wandelnden Sehgewohnheiten verlor das Kino seine Bedeutung. Mitte der 1970er Jahre fiel schließlich der Vorhang: 1975 wurde der letzte Film gezeigt. Eine Ära ging zu Ende.

Von der Kinoleinwand zur Dönermeile

Die Schauburg verfiel jedoch nicht in Bedeutungslosigkeit. Nach jahrelanger Vernachlässigung wurde das Gebäude von Ernst Riemekasten und seiner Frau Hannelore übernommen, die als Ziehkind von Josef Amsl eine enge Verbindung zur Geschichte des Kinos hatte. Sechs Jahre dauerte die behutsame Renovierung, bis die Schauburg 2012 – rund 100 Jahre nach der Eröffnung der ursprünglichen „Rüsselsheimer Lichtspiele“ – wiedereröffnete.

Heute dient sie als Veranstaltungsort mit moderner Sound- und Kinotechnik. Hier finden private Feiern, Vereinstreffen, Castings oder Produktpräsentationen statt. Doch so schön dieser neue Nutzungszweck auch sein mag – der Charme eines alten Kinos, in dem sich hunderte Menschen auf roten Samtsitzen in Filmwelten verlieren, ist etwas, das nicht zurückgeholt werden kann.

Die verpasste Chance der Bahnhofstraße

Die Geschichte der Schauburg ist auch ein Sinnbild für die Entwicklung der Bahnhofstraße selbst. Wo einst das kulturelle Leben pulsierte, sind heute Dönerläden, Shisha-Bars und Ramschläden. Sicher, Städte verändern sich, und auch kulturelle Treffpunkte müssen sich neu erfinden – doch in Rüsselsheim wurde diese Transformation verschlafen.

Städte wie Wiesbaden oder Mainz haben verstanden, dass ihre alten Kinogebäude, Kaffeehäuser und Flaniermeilen erhalten werden müssen, um ein Stadtbild mit Identität zu schaffen. In Rüsselsheim hingegen hat man es zugelassen, dass sich die Bahnhofstraße von einer repräsentativen Geschäftsstraße mit Kino und Warenhäusern zu einer gesichtslosen Durchgangsstraße entwickelte, in der wenig vom einstigen Glanz geblieben ist.

Wie schön wäre es, wenn die Bahnhofstraße heute wieder ein Ort zum Flanieren wäre – mit kleinen Cafés, Kunstgalerien und kulturellen Hotspots? Stattdessen verliert die Straße mehr und mehr an Aufenthaltsqualität.

Die Schauburg ist eines der wenigen Relikte einer vergangenen Zeit – ein Gebäude, das überlebt hat und weiterhin mit Leben gefüllt wird. Doch sie steht auch sinnbildlich für eine verpasste Chance.

Schauburg Rüsselsheim

Schauburg Rüsselsheim

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