
Der vergessene Sockel im Verna-Park – ein Denkmal ohne Kunstwerk
Wer durch den Verna-Park spaziert, entdeckt zwischen altem Baumbestand und geschwungenen Wegen einen einsamen Sockel, auf dem keine Statue mehr steht. Ein Relikt ohne Erklärung, das Fragen aufwirft. Ich habe mich schon immer gefragt, warum dieser Sockel mitten im Park steht – und erst im Stadtarchiv bin ich auf die Antwort gestoßen.
Ein Kunstwerk verschwindet
1930 stiftete Dr. Fritz Opel, ein Mitglied der bekannten Unternehmerfamilie, eine Bronzeplastik mit dem Titel „Die Anbetende“, auch als „Sonnenmädchen“ bekannt. Geschaffen wurde sie vermutlich von Heinrich Jobst, einem Bildhauer, dessen Werke noch heute an mehreren Orten in Deutschland zu finden sind. Doch bereits 1940 wurde die Plastik entfernt, mutmaßlich im Zuge der nationalsozialistischen Kunstpolitik, die viele Werke als „unerwünscht“ oder als Materialquelle für die Kriegsproduktion einstufte.
Zurück blieb nur der Sockel – ein Überbleibsel einer Zeit, in der Unternehmen noch aktiv zur Gestaltung des öffentlichen Raums beitrugen.
Fritz Opel – Ein Mäzen aus einer anderen Zeit
Dr. Fritz Opel (1875–1938) war Teil der berühmten Opel-Dynastie, die in Rüsselsheim ihren industriellen und wirtschaftlichen Einfluss begründete. Während sein Cousin Fritz Adam Opel als Rennfahrer und Entwickler des Raketenwagens bekannt wurde, engagierte sich Dr. Fritz Opel eher im Hintergrund – unter anderem als Förderer von Kunst und Kultur in der Stadt. Seine Stiftung der Bronzeplastik war eine Geste, die heute in dieser Form kaum noch vorkommt.
Heinrich Jobst – Bildhauer zwischen Tradition und Moderne
Der Bildhauer Heinrich Jobst (1874–1943) war bekannt für seine ausdrucksstarken Skulpturen, die oft in klassischen und expressiven Stilen gehalten waren. Besonders in Frankfurt und München sind noch Werke von ihm erhalten, darunter das bekannte Denkmal für Georg Wilhelm Steller im Palmengarten Frankfurt. Doch auch in Offenbach und Darmstadt finden sich bedeutende Werke von Jobst:
Offenbach: Die bekannte Hafenarbeiter-Statue erinnert an die industrielle Vergangenheit der Stadt. Sie symbolisiert die harte körperliche Arbeit der Hafenarbeiter, die für die wirtschaftliche Entwicklung Offenbachs eine zentrale Rolle spielten.
Darmstadt: Auf der berühmten Mathildenhöhe, dem Zentrum des Jugendstils, gestaltete Jobst das beeindruckende Relief am Hochzeitsturm, das bis heute ein wichtiges kunsthistorisches Werk darstellt. Dieses Relief gehört zu den bekanntesten Arbeiten des Künstlers und verbindet die expressive Formsprache der Zeit mit der künstlerischen Tradition der Darmstädter Künstlerkolonie.
Verna-Park – Ein Ort voller Geschichte
Der Verna-Park selbst hat eine bewegte Geschichte. Ursprünglich war er ein privater Garten der Familie Verna und wurde später zum öffentlichen Park umgestaltet. Heute ist er eine der schönsten historischen Grünanlagen der Region, gespickt mit kleinen architektonischen Details, die an seine Vergangenheit erinnern – darunter Grotten, Wasserläufe und eben dieser einsame Sockel.
Kunstförderung heute – Was bleibt?
Die Geschichte des verschwundenen Kunstwerks wirft eine größere Frage auf: Warum gibt es heute kaum noch private Mäzene, die Kunst im öffentlichen Raum fördern?
Während früher Unternehmer wie Fritz Opel aktiv Skulpturen, Denkmäler und Brunnen finanzierten, bleibt die Förderung heute fast ausschließlich institutionellen Akteuren überlassen. Die wenigen Ausnahmen, wie die Gewobau oder die Stadt selbst, fördern meist größere, langfristige Projekte. Für unabhängige Kunst im Stadtraum bleibt wenig Raum.
Kunst braucht Sichtbarkeit. Sie formt unsere Umgebung, erzählt Geschichten und gibt einer Stadt Identität. Doch ohne Unterstützung bleibt sie oft auf der Strecke. Der Sockel im Verna-Park ist nicht nur ein Überbleibsel der Vergangenheit, sondern auch ein Sinnbild für das, was heute fehlt.
Vielleicht sollten wir uns fragen, wie wir Kunst in unseren Städten wieder mehr Raum geben können – und ob wir es uns leisten können, dass öffentliche Kunst immer mehr verschwindet.