KANT DENKMAL

Der kategorische Imperativ aus Sichtbeton & Aluminium

Die monumentale Skulptur auf dem Gelände der Immanuel-Kant-Schule in Rüsselsheim ist nicht nur ein Kunstwerk, sondern ein Statement. Der Künstler Knud Knudsen schuf 1969 eine Riesenplastik, die aus fünf fast 10 Meter hohen Pfeilern besteht – mit einem Gesamtgewicht von satten 35 Tonnen. Zum Vergleich: Das entspricht dem Gewicht von 24 Opel Kapitänen oder 32 Opel Adams.

Betritt man das Zentrum der Skulptur, scheint der Blick in den Himmel gelenkt zu werden. Die vier Spitzen einer Windrose verstärken diesen Eindruck, und für einen Moment fühlt man sich als Mittelpunkt der Erde. Eine Empfindung, die durch das berühmte Kant-Zitat unterstrichen wird:

„Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“

Eine Schule, die mich prägte

Diese Skulptur stand nicht nur auf meinem Schulweg, sondern hatte für mich eine ganz persönliche Bedeutung: Ich habe an der Immanuel-Kant-Schule die Schulbank gedrückt. Für mich war sie weniger ein Kunstwerk als ein Mahnmal – eines, das mich immer daran erinnerte, pünktlich zum Unterricht zu erscheinen.

Die Zeit, in der ich die IKS besuchte, war eine andere als heute. Damals war ich einer von nur zwei Schülern mit migrantischen Wurzeln in meiner Klasse – eine Realität, die sich heute kaum noch vorstellen lässt. Begriffe wie „Gastarbeiterkinder“ oder ganz direkt „Ausländer“ waren gängig. Die NS-Zeit wurde nicht nur aus Geschichtsbüchern vermittelt – einige Lehrkräfte hatten sie selbst miterlebt.

Lehrerinnen und Lehrer, die den Unterschied machten

Doch ich hatte Glück. Ich traf auf drei Lehrer*innen, die mir nicht nur das Gefühl gaben, dazuzugehören, sondern mich auch förderten und meine Kreativität entfachten:

  • Frau Bratner (Kunst) – Sie gab mir immer andere Aufgaben als meine Mitschüler, um meine künstlerische Ader weiterzuentwickeln.
  • Frau Eisenbraun (Deutsch) – Sie ermutigte uns zu schreiben und half unserer Klasse dabei, ein eigenes Buch mit Gruselgeschichten zu veröffentlichen.
  • Herr Hunger (Englisch) – Er brachte mir regelmäßig Zeitungsartikel mit, damit ich über Themen schreiben konnte, die mich wirklich interessierten. Er akzeptierte sogar, dass ich Buchbesprechungen als Comics einreichte.

Vom Schulhof in ein Buch über Kant

Viele Jahre später wurde ich erneut mit Kant konfrontiert – und zwar in einem völlig neuen Kontext. Im Jahr 2022 wurde ich vom Bundesinstitut für Kultur und Geschichte angefragt, ob mein Bild aus der Artmap in einem neuen Buch über Kant veröffentlicht werden dürfe.

Das Buch mit dem Titel „Immanuel Kant 1724–2024: Ein europäischer Denker“ (erschienen als Band 83 der Schriftenreihe des Bundesinstituts) würdigt Kants philosophisches Erbe und seinen Einfluss in ganz Europa. Dass mein Bild in diesem Werk veröffentlicht wurde, hat für mich eine besondere Bedeutung – denn die Skulptur, die mich einst an meine Schulpflicht erinnerte, wurde damit ein Teil einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Kant.

Fazit

Die Skulptur an der IKS ist mehr als nur ein Kunstwerk aus Beton und Aluminium. Sie ist ein Symbol für Aufstieg, Perspektivenwechsel und das Streben nach Erkenntnis. Für mich persönlich ist sie ein Teil meiner eigenen Geschichte – als Schüler mit migrantischen Wurzeln in einer Zeit, die weit weniger divers war als heute, aber auch als Künstler, dessen Werk Jahrzehnte später in eine wissenschaftliche Publikation über Kant aufgenommen wurde.

Das Kant-Denkmal in Rüsselsheim

Ein Denkmal für die Vernunft in einer geteilten Gesellschaft

Die 1960er-Jahre waren eine Zeit großer Umbrüche: Der Kalte Krieg dominierte die weltpolitische Lage, Reformbewegungen stellten konservative Werte in Frage, und linke Intellektuelle sorgten für hitzige gesellschaftliche Debatten. Die Bundesrepublik befand sich in einem „Spannungsverhältnis von dominanten und alternativen Lebensformen“ (Hickethier 2003, 11).

Inmitten dieses Klimas entschied sich Rüsselsheim als erste Stadt des 20. Jahrhunderts (vgl. Magistrat 1988, 3), dem Königsberger Philosophen Immanuel Kant ein Denkmal zu setzen. Ein Denkmal ist ein „öffentliches Erinnerungsmedium“ (Schmoll 2005, 1) und kann als Orientierungshilfe für die Gegenwart sowie als Wegweiser für die Zukunft dienen.

Warum ein Kant-Denkmal in Rüsselsheim?

Die zehn Meter hohe, 35 Tonnen schwere Großplastik (vgl. Magistrat 1988, 16) wurde von dem Bildhauer Knud Knudsen entworfen und 1969 auf dem Freigelände der Immanuel-Kant-Schule aufgestellt (vgl. Otto 1981, 420). Diese wurde bereits 1896 eröffnet, trug jedoch erst seit ihrem Umzug in das Neubaugebiet „Dicker Busch“ den Namen Kants (vgl. IKS 2018).

Kant ist einer der bedeutendsten Denker der Neuzeit. Seine Philosophie basiert auf Vernunft und Moral, und seine Ideen sind bis heute universell. Der damalige Bürgermeister Gerhard Löffert beschrieb Kants Werke als hochaktuell: Sie seien „im Zeitalter der Gefahr atomarer Auslöschung der gesamten Menschheit geradezu wie eine Handlungsanleitung“ (Magistrat 1988, 3).

„Würde die Menschheit Kants Maximen folgen, so wäre ihr Überleben in äußerem und innerem Frieden gesichert.“

In einer Zeit, in der viele Menschen den Zweiten Weltkrieg noch unmittelbar erlebt hatten, suchte man nach einer philosophischen Grundlage für eine friedliche Zukunft. Das Denkmal sollte als Appell an die Vernunft dienen.

Symbolik und Gestaltung

Das Denkmal besteht aus fünf Betonpfeilern, in deren Mitte eine Bodenplatte mit der berühmten Inschrift eingearbeitet ist:

„Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“

Knud Knudsen wollte mit seinem Werk die „Transzendenz der Schöpfung“ (den bestirnten Himmel) und die moralische Verantwortung jedes Einzelnen betonen. Die vier Himmelsrichtungszeiger symbolisieren die weltweite Relevanz der Kantschen Philosophie (Magistrat 1988, 18).

Die Pfeiler tragen Inschriften mit Leitsprüchen aus Kants Hauptwerken. Das verwendete Material – Beton und Aluminium – wurde bewusst gewählt, um den industriellen Charakter der Stadt Rüsselsheim zu unterstreichen.

Zwischen Anspruch und Realität

Das Denkmal sollte eine „Stätte der Besinnung“ sein und Betrachter zum Nachdenken anregen. Doch die Realität sah oft anders aus: 1985 wurden die ursprünglich als Sitzgelegenheiten gedachten Spitzen der Windrose entfernt, da sich Jugendliche dort weniger mit Kants Philosophie, sondern vielmehr mit alltäglichen Themen beschäftigten (Magistrat 1988, 18).

Diese Diskrepanz zwischen Intention und Nutzung zeigt, dass Denkmäler im öffentlichen Raum immer auch durch die Gesellschaft geformt werden, die sie umgibt.

Ein Zeichen der Moderne?

Die Stadt Rüsselsheim wollte mit dem Denkmal ihre Moderne und Aufgeschlossenheit demonstrieren. Während im benachbarten Frankfurt die Studentenbewegung revolutionäre Ideen von Karl Marx propagierte, entschied sich Rüsselsheim mit Kant für einen philosophischen Mittelweg.

Es wurde bewusst auf ein klassisches Standbild verzichtet – stattdessen schuf man eine begehbare Installation, die zur partizipativen Auseinandersetzung mit Kants Ideen einladen sollte.

Fazit

Das Rüsselsheimer Kant-Denkmal ist mehr als nur ein Kunstwerk – es ist ein Ausdruck der politischen und gesellschaftlichen Spannungen seiner Zeit. Es repräsentiert den Wunsch nach Vernunft in einer polarisierten Welt und den Glauben an die Kraft der Philosophie.

Dennoch zeigt die Geschichte dieses Denkmals auch, dass der ursprüngliche Anspruch nicht immer mit der tatsächlichen Nutzung übereinstimmt. Ob als Mahnmal, Kunstinstallation oder schlicht als Orientierungspunkt auf dem Schulhof – das Denkmal bleibt ein interessantes Zeugnis der 1960er-Jahre und ein Symbol für den Bildungs- und Kulturanspruch Rüsselsheims.

Literatur

  • Hickethier, Knut (2003). Protestkultur und alternative Lebensformen. In: Faulstich, Werner (Hg.). Die Kultur der sechziger Jahre, 11–30. München.
  • Otto, Rudolf (1981). Baukräne über Rüsselsheim: 25 Jahre Stadtentwicklung (1950–75). Rüsselsheim.
  • Schmoll, Friedemann (2005). Denkmal. Skizzen zur Entwicklungsgeschichte eines öffentlichen Erinnerungsmediums. Jahrbuch für deutsche und osteuropäische Volkskunde, 47, 1–16.

Quellen

  • IKS (Immanuel-Kant-Schule Rüsselsheim) (2018) Chronik: www.iks-ruesselsheim.de [03.09.2018].
  • Knudsen, Knud. „Gedanken zum Kant-Denkmal in Rüsselsheim“. In: Sammlung Stadtarchiv Rüsselsheim, Denkmäler.
  • Magistrat der Stadt Rüsselsheim – Presseamt (1968). Rüsselsheim – heute und morgen. Frankfurt am Main.
  • Magistrat der Stadt Rüsselsheim & Kant Gesellschaft e.V. (1988). Das Rüsselsheimer Kant-Denkmal. Rüsselsheim.
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