
ARTSbesuch: Ein kreatives Zuhause im Opel-Altwerk
Ein Ort zwischen Vergangenheit und Möglichkeiten
Wie so viele Geschichten und Begegnungen in Rüsselsheim hat auch dieser Besuch im übertragenen Sinn mit Opel zu tun. Heute begebe ich mich an einen Ort, der mir besonders vertraut ist: die Motorworld im Opel-Altwerk. Hier, zwischen alten Industriehallen, dem Geruch von Maschinenöl und Geschichte, habe ich die längste Zeit meiner kreativen Arbeit verbracht. Ein Ort, an dem sich Vergangenheit und Gegenwart in den rostigen Spuren der Zeit begegnen, an dem jeder Riss im Mauerwerk, jedes knarzende Tor eine Geschichte erzählt.

Mein Gastgeber ist Maximilian Dünkel, Standortleiter der Motorworld Rüsselsheim – ein Mensch, der diesen Ort nicht nur verwaltet, sondern mit Leben füllt. Er ist keiner, der nur Pläne abarbeitet oder Listen abhakt. Vielmehr sieht er in diesen Mauern nicht nur alte Industriekultur, sondern ein Fundament für Neues. Während ich mit ihm spreche, bemerke ich, wie sehr er sich mit dem Ort verbunden fühlt, als hätte er dessen Puls verinnerlicht. In seinen Augen liegt eine Begeisterung, die nicht von Nostalgie lebt, sondern von Möglichkeiten.



Hier, in den stillgelegten Hallen, in denen einst Maschinen die Zukunft formten, entstehen nun neue Ideen. Kreativität bahnt sich ihren Weg durch die Risse im Beton, wächst zwischen den Schatten der Vergangenheit. Es ist ein Ort, an dem Stillstand keine Option ist, an dem das Alte nicht nur bewahrt, sondern neu gedacht wird. Und inmitten dieser Transformation bleibt eines spürbar: das Echo all der Geschichten, die hier geschrieben wurden – und derer, die noch kommen werden.
Die Kunst des Zufalls
Alles begann vor einigen Jahren mit einer simplen E-Mail. Ich fragte an, ob ich auf dem Gelände fotografieren dürfte. Maxi hätte einfach mit Ja oder Nein antworten können, doch seine Antwort ging weiter: Er wollte verstehen, was genau ich vorhatte. Nicht, weil er die Idee hinterfragte, sondern weil er überlegte, welcher Ort am besten zu meinem Vorhaben passen würde. Er dachte weiter, sah nicht nur eine Anfrage, sondern eine Möglichkeit, etwas Passendes zu schaffen.
Während unseres ersten Gesprächs erzählte ich ihm, dass mein Mietvertrag im F-Bau bei Alexander Höbig auslief und ich auf der Suche nach einer neuen Atelierfläche war. Kurze Zeit später rief mich Maxi an: Eine Künstlerin hatte für ein Projekt eine kleine Halle gemietet, die nun frei wurde.
So zog ich in die Fläche bei C13 ein. 5 Meter hohe Decken, raue Industriewände, Licht, das durch große Fenster fällt – ein Klischee-Künstlerloft mitten in Rüsselsheim. Doch es war mehr als das: Es war ein Ort, der atmete, der Geschichten erzählte, der mich aufnahm und inspirierte. Räume sind nicht nur Hüllen aus Beton und Glas, sie sind Resonanzkörper für das, was in ihnen entsteht. Dieser Ort ließ mich ankommen. Und wie so oft, wenn alles seinen natürlichen Lauf nimmt, fühlte es sich nicht nach Zufall an, sondern nach einer Fügung. Vielleicht war es genau das, was Maxi schon damals geahnt hatte.


Die Menschen hinter den Mauern
Maximilian Dünkel und Ariane Dörhöfer sind keine bloßen Verwalter, sie sind Möglichmacher. Sie schaffen nicht nur Räume, sondern Verbindungen. Wer hier arbeitet, wird nicht einfach Mieter, sondern Teil eines Netzwerks, das sich mit jeder Begegnung weiter verwebt.
Maxi stammt aus Schemmerhofen, einer kleinen Gemeinde in Oberschwaben, eingebettet in sanfte Hügel und umgeben von Feldern. Ein Ort, an dem man sich kennt, an dem man bleibt oder irgendwann geht. Er besuchte die Schule in Biberach. Er hätte nach Frankfurt oder Mainz ziehen können, dorthin, wo die Wege breiter und die Möglichkeiten scheinbar zahlreicher sind. Doch er entschied sich vor knapp 5 Jahren nicht nur in Rüsselsheim zu arbeiten sondern auch zu leben.
Vielleicht, weil er lieber etwas aufbaut, anstatt nur irgendwo anzukommen. Vielleicht, weil er das Potenzial in diesem Ort sah. Er ist einer dieser Menschen, die zuhören, mitdenken, fragen, was noch möglich ist. Seit er hier ist, hat er ein offenes Ohr für kreative Experimente, unterstützt von Ariane, die mit der gleichen Leidenschaft Räume nicht nur füllt, sondern mit Leben auflädt. Sie verstehen, dass ein Ort mehr ist als seine Mauern – dass er von den Menschen lebt, die ihn gestalten.
Neben mir arbeiten hier Künstler:innen wie Mario Hergueta oder Lisa Rost. Das Mietstudio Ideenreich ist ein Anziehungspunkt für Fotograf:innen im Rhein-Main Gebiet. Darüber hinaus haben auch weitere Fotograf:innen, wie Alex Wörl, Jana Kay oder Isabella Groth, hier ihre Studios eingerichtet, aufstrebende und etablierte Künstler:innen, die sich von der besonderen Atmosphäre des Geländes inspirieren lassen. Aber auch Kreativräume wie das Rollwerk oder temporär Rakeet finden hier ihren Platz.
Eine Vision in Planung
In Rüsselsheim steht die Motorworld noch am Anfang – hier entsteht nicht einfach eine Eventlocation, sondern ein ganzes Stadtquartier. Die Herausforderung ist einzigartig: vom Bebauungsplan über das Denkmalschutzkonzept bis hin zur Umsetzung muss jeder Schritt mit Fingerspitzengefühl erfolgen. Es geht nicht nur um die Erhaltung der alten Hallen, sondern darum, sie in eine lebendige Zukunft zu überführen. Hier wird nicht nur ein Ort revitalisiert, sondern ein urbanes Konzept erschaffen, das Vergangenheit und Zukunft miteinander verbindet.
Noch sind viele Ideen auf dem Papier, doch das Ziel ist klar: ein Raum für Mobilität, für Geschichte, für Innovation. Oldtimer, Supercars, exklusive Manufakturen – sie werden Teil des Bildes sein, aber nicht die einzige Facette. Die Motorworld soll nicht nur Automobil-Enthusiasten anziehen, sondern auch offen sein für Künstler:innen, Kreative und Kulturschaffende. Es wird ein Ort sein, an dem Ausstellungen entstehen, an dem experimentiert wird, an dem Kultur und Technik aufeinandertreffen. Ein Konzept, das über das Gewohnte hinausgeht, das Grenzen verschwimmen lässt zwischen Industriegeschichte und urbaner Zukunft, zwischen Motoren und Kunst. Schon jetzt steht der Showroom interessierten Bürger:innen immer offen.
Ein Filmset mit Charakter
Neben den kreativen Köpfen, die hier arbeiten, wird das Gelände auch regelmäßig für Film- und Medienproduktionen genutzt. Filmstudent:innen finden hier authentische Industrie-Ästhetik für ihre Projekte, und auch große Studios wie Amazon Prime haben das Potenzial des Ortes erkannt. Die Mischung aus historischer Architektur und kreativer Energie macht die Motorworld Rüsselsheim zu einer begehrten Kulisse für Filmaufnahmen, Musikvideos, Werbespots und Fotoproduktionen.



Darüber hinaus finden sich heute schon diverse andere Firmen hier wie unter anderem machbar, Benzinrausch oder das Stimmenwerk.
Der Geist des Ortes
Maxi ist überzeugt: Wo Kreative sind, da entsteht Leben. Die Motorworld ist nicht nur eine Revitalisierung einer ehemaligen Industriestätte – sie ist die Vision eines neuen Stadtquartiers, das das Opel-Erbe bewahrt und gleichzeitig neue Geschichten schreibt. Durch ihre Erfahrung mit Denkmalschutz und der besonderen Strahlkraft solcher Standorte hat sich die Motorworld einen Namen gemacht. Sie schafft es, Vergangenheit und Zukunft zu verbinden, indem sie alte Mauern mit neuen Ideen füllt. So findet man die Motorworld in Stuttgart, Metzingen, Herten, Köln, München, Berlin, Zürich und Mallorca.
Auch an anderen Standorten hat Kunst und Kultur ihren festen Platz. In Köln erzählt beispielsweise die Dauerausstellung Michael Schumacher – Private Collection von Geschwindigkeit, Siegen und einer Legende des Motorsports. Hier entstehen keine bloßen Inszenierungen, sondern Begegnungen, die sich organisch in das Gefüge dieses besonderen Ortes einfügen.
Kultur wächst hier nicht auf vorgefertigten Flächen, sondern in den Zwischenräumen, wo Geschichte und Zukunft sich berühren. So auch jetzt schon in Rüsselsheim, der Adamshof wurde im Kultursommer zur Bühne, Filmnächte brachten, mit dem Open-Air Kino, Licht in die alten Mauern, Lesungen mit Kapitel 43 bringen Atmosphäre und doch bleibt Raum für mehr. Die bildende Kunst hat hier ihren Platz, nicht als dekoratives Element, sondern als integraler Bestandteil einer Identität im Wandel. Das Inge-Besgen-Archiv ist ein stiller Zeuge dieser Entwicklung – ein Vermächtnis, das die Struktur des Ortes mitprägt und zugleich neue Perspektiven eröffnet.


Ein Ort, der wachsen darf
Das Besondere an der Motorworld Rüsselsheim ist nicht nur, was sie heute ist, sondern das was sie werden kann. Sie ist ein Ort im Übergang, in dem nichts sofort festgeschrieben werden muss, wo Ideen keimen dürfen, wo Unfertiges seinen Raum hat. Hier gibt es keine starren Strukturen, sondern eine offene Bühne für Möglichkeiten.
Auch meine Ausstellungen Motorcity und Mis Ndchar Inu durften hier ihren Platz finden. Es war Maxi, der mich ermutigte, Motorcity auf diesem Gelände zu realisieren. Und es fühlte sich nicht an, als würde ich meine Kunst an einen beliebigen Ort bringen, sondern als würde ich sie genau dorthin zurückführen, wo sie hingehört. Denn all die Geschichten, die ich mit meinen Bildern in Motorcity erzähle, sind längst in diesen Mauern eingeschrieben.
Heute sitzen wir hier, erinnern uns an das, was war, und sprechen über das, was kommen könnte. Während wir in Erinnerungen schwelgen, entstehen bereits neue Ideen – nicht als abstrakte Konzepte, sondern als etwas, das hier seinen Platz finden darf.