
ARTSbesuch: Die Kunst der Patina – Zu Gast bei Clemens Heidolf
Begegnungen, die bleiben
Ein besonderer Nebeneffekt der ARTSbesuche ist es, Menschen kennenzulernen – oder sie neu kennenzulernen. Manchmal ist es ein erstes Treffen, manchmal ein Wiedersehen, manchmal eine Mischung aus beidem. Mein heutiger Besuch ist genau das: ein bisschen von allem.
Ich bin zu Gast bei Clemens Heidolf. In einer anderen Realität sind wir uns bereits begegnet.
Schon oft hatte ich von Clemens gehört, seinen Namen in Gesprächen aufgeschnappt, in Sätzen, die beiläufig wirkten, aber doch immer wieder auftauchten, als wollte die Stadt selbst ihn mir vorstellen. Immer wieder Menschen, die ihn kannten, die von ihm erzählten, als sei er ein altes Echo, das durch Räume hallt.
2019 schließlich schreibe ich ihm, frage, ob er Lust hätte, im Chausseehaus auszustellen. Er sagt zu. Ich wähle drei Bilder aus, breite sie vor mir aus wie Karten, die eine Geschichte erzählen, eine Geschichte, die erst mit der Hängung beginnt.
Während ich das erste Bild an die Wand bringe, hallt das Hämmern der Nägel durch den Raum. Ein dumpfer Schlag, der kurz nachklingt, dann ein zweiter. Die Wand gibt leicht nach, das frisch verputzte Weiß splittert minimal an den Rändern. Hinter mir spüre ich Bewegung, als Hans und Birgit eintreten. Sie setzen sich, ohne Eile, ohne Worte. Ihre Blicke gleiten über den Raum, über mich, über das Bild in meinen Händen. Ich spüre sie, ihre Präsenz wie eine weitere Schicht, die sich auf die Wände legt. Ich arbeite weiter, lasse sie beobachten. Erst als ich fertig bin, gehe ich zu ihnen, frage, was sie trinken möchten, nehme die Bestellung auf.
Ich gehe hinter die Theke, höre das dumpfe Klopfen des Kaffeepucks, das leise Kratzen, wenn ich das Kaffeemehl glattstreiche. Dann das Zischen der Maschine, kurz, scharf, bevor das tiefe Aroma des frischen Kaffees sich ausbreitet, schwer und warm.
Als ich wenig später mit den Tassen zurückkehre, stellen sie eine Frage, die in der Stille hängt, als wäre sie nicht nur an mich gerichtet, sondern an den Raum selbst: „Kann man die Bilder hier eigentlich kaufen?“
Ich nicke. „Ja, klar.“ Sie zeigen auf ein Bild von Clemens. Ich reiche ihnen seine Visitenkarte – zehn Minuten später ist das Bild verkauft.
Als Dank gestaltet Clemens meine kontaktlosen Papierspender und Seifenspender, die er mit einer so authentischen Patina versieht, dass Gäste immer wieder erstaunt fragen: „Wahnsinn, dass es in den 50er Jahren schon kontaktlose Spender gab!“
Heute sehe ich Clemens wieder, diesmal in Flörsheim, seinem Geburtsort, wo er seit zehn Jahren sein Atelier hat.



Ein Leben zwischen Malerei, Film und Handwerk
Clemens wächst in Flörsheim auf, 1987 zieht seine Familie nach Rüsselsheim. So wie ich macht er sein Abitur an der Heinemann-Schule, mit den Leistungskursen Kunst und Englisch. Ein Weg, der uns verbindet.
Ursprünglich will er eine Möbelschreinerlehre beginnen – das Handwerk liegt in der Familie. Doch anstatt eine Möbelschreinerstelle zu finden, stößt er nur auf Bauschreinerlehrstellen, die nicht das sind, was er sich vorgestellt hat. Er beginnt stattdessen bei DHL zu arbeiten. Doch seine wahre Leidenschaft liegt woanders. In seiner Freizeit malt er unermüdlich, besucht die Städel Abendschule, nimmt an zahlreichen Weiterbildungen an Kunstakademien teil.
2006 zieht er in ein Atelier auf dem ehemaligen Gelände der Phrix Papierfabrik in Okriftel – damals bereits eine kleine Künstlerkolonie. Vier Jahre später, 2010, residiert er im Labor in den Opelvillen, wo er sich besonders an eine Malaktion mit Kindern erinnert, die ihm bis heute viel bedeutet.


Sein kreatives Schaffen bleibt nicht auf die klassische Malerei beschränkt. Er experimentiert mit Streetart, führt Livepaintings im Rind durch und für das Trebur Open Air malt er Bilder und probiert sich an Styro-Plastiken aus, leitet gemeinsam mit anderen Künstler:innen die Kurse der Jugendkunstwoche in Hattersheim, stellt bei MITCH aus. Immer ist da dieses Bedürfnis, die Kunst in den öffentlichen Raum zu tragen, sie zugänglich zu machen, Menschen zu beteiligen.
Von der Papierfabrik zur Traumfabrik
Von der Papierfabrik zieht es Clemens zur Traumfabrik – wortwörtlich. Er landet beim Film. Er beginnt, Filmkulissen zu bauen, besonders Patina weckt seine Neugier, zum einen weil es experimentelle und alchemistische Züge hat zum anderen, um Dingen eine Geschichte zu geben, die sie niemals erlebt haben. Er lässt Neues alt aussehen. Über Jürgen Henn und Ali Brambilla von frix 3Dkommt er zum Film.





Er trifft und lernt von Felix Maurice Manchon und dessen Partnerin Andrea. Bald arbeitet er an internationalen Serien und Filmen für Netflix und Arte mit, darunter „Hausen“ und „Bad Banks“. Seine Arbeit als Bühnenmaler bringt ihn mit seinen Kollegen und inzwischen Freunden Ali Brambilla & Jürgen Henn wieder zusammen. Sie kommen gemeinsam nach Rüsselsheim ins Opel Altwerk – für den Film „Nur Gott kann mich richten“ mit Moritz Bleibtreu. In einer Halle errichten sie ein Büro, gestaltet ein Firmenschild – ein Detail, das so echt wirkt, dass es nach Abschluss der Dreharbeiten einfach hängen bleibt. Bis heute kann man es dort finden – ein Relikt aus einer fiktionalen Welt, das in die Realität übergegangen ist.
Zwischen den Welten – Atelier und Leinwand
Wenn er nicht für Filmproduktionen arbeitet, ist Clemens in seinem Flörsheimer Atelier. Hier kann er sich auf seine eigene Kunst konzentrieren. Sein Stil bewegt sich zwischen Realismus, Surrealismus und phantastischem Realismus. Er erschafft neue Realitäten auf der Leinwand, verdichtet Momente, spielt mit Licht, Materialität und Atmosphäre. Seine Bilder findet man bei Höll am Main, wo sie neben den Arbeiten von Inge Besgen hängen. Er nimmt an der Kunststraße des BEL R! Festivals teil, bleibt aktiv in der lokalen Kunstszene.



Unser Gespräch entwickelt sich schnell zu mehr als einem Interview. Wir merken beide, wie gut dieser Austausch tut.
Ich beobachte, wie Clemens spricht, wie seine Hände die Luft durchschneiden, während er erzählt. Er ist nicht nur Künstler, sondern auch Geschichtenerzähler – in Bildern, in Texturen, in Patina, die den Dingen eine Vergangenheit schenkt, die sie nie hatten. Seine Augen leuchten, als er von seinen Projekten spricht, von den Herausforderungen, von den kleinen Zufällen, die sich am Ende doch als Wegweiser erweisen.
Kunst ist für ihn eine Reise, und jedes Werk ein Fragment dieser Reise.
Als ich sein Atelier verlasse, bleibt dieses Bild in meinem Kopf: Die Oberfläche eines alten Spenders, den er mit Patina versehen hat. Eine Schicht über der anderen, mit Spuren von Zeit, die nie wirklich vergangen ist. Kunst ist mehr als das fertige Werk – sie ist die Summe aller Momente, die dorthin geführt haben.
Ich steige ins Auto, aber die Gedanken begleiten mich weiter.
Manchmal geht es nicht darum, etwas Neues zu schaffen, manchmal geht es darum, das Vergangene neu zu sehen.