LISA ROST

ARTSbesuch: Alle Wege führen ins Altwerk

Vertraute Pfade, neue Begegnungen

Auch heute bin ich wieder im Altwerk. Ein Ort, an dem sich Vergangenheit und Gegenwart überlagern, in dem Mauern Erinnerungen tragen und neue Ideen wachsen. Während ich auf den Parkplatz rolle, durchzieht mich ein Gefühl von Vertrautheit. Meine eigenen Spuren sind für mich noch immer spürbar – die Ausstellungen, die Workshops, mein Atelier, die Gespräche, die Begegnungen. Momente, die sich wie Farbschichten übereinanderlegen, manche durchscheinend, andere kräftig und unauslöschlich.

Als ich aussteige, fällt mein Blick auf Maximilian Dünkel, der mit einer Gruppe durch das Gelände geht. Sein Blick trifft meinen für einen Moment, ein kurzes, stilles Nicken – eine wortlose Begrüßung, ein Zeichen dafür, dass das Hiersein noch immer selbstverständlich ist. Das Altwerk ist kein abgeschlossener Ort – es ist ein Kontinuum.

Heute aber bin ich hier, um eine neue Perspektive einzunehmen. Ich freue mich auf Lisa Rost.

Ein Atelier zwischen Geschichte und Gegenwart

Lisas Atelier liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zur Sammlung von Inge Besgen. Die Nähe wirkt fast symbolisch – Kunst, die über Generationen hinweg miteinander spricht. Als ich mich dem Raum nähere, ist die Tür bereits offen. Musik flutet in den Flur, eine lebendige Einladung. Ich trete ein, werde mit einem Lächeln empfangen, warm, herzlich, als wäre unser Gespräch längst überfällig.

Lisa und ich sind uns oft begegnet – in der Galerie im Theater, im Rollwerk, auf der Kunststraße des BEL R! Festivals, im f3. Doch immer blieben es flüchtige Momente, Bruchstücke einer potenziellen Verbindung, die sich erst jetzt entfalten darf.

Lisa ist in Rüsselsheim geboren, aber nicht hier aufgewachsen. Es braucht erst einen Job im Rind, um sie zurückzuführen, doch aus der Rückkehr wird schnell mehr. Sie begegnet Künstler:innen, knüpft Verbindungen, wächst hinein in ein Netzwerk des kreativen Austauschs. Rüsselsheim wird für sie nicht nur ein Ort, sondern eine Möglichkeit.

Während der Pandemie entsteht the artsclub, ein Kollektiv, angestoßen durch Florian Haupt. Das Rind und der artsclub werden zu einer kreativen Zuflucht, einem Ort, an dem Ideen überleben, trotz und gerade wegen der Umstände. Konzerte, Ausstellungen, ein 48-Stunden-Livestream – aus eigenem Schaffen wird eine Bühne für andere. Lisa gestaltet Plakate, entwirft Merchandise, verleiht Identitäten Sichtbarkeit. Das Kreative fließt durch sie hindurch – es beginnt nicht nur bei ihr, es endet auch nicht dort.

Kunst als Ausdruck von Identität und Wut

Doch Lisa bleibt nicht nur Vermittlerin, sie ist auch Künstlerin. Früh beginnt sie mit Videocollagen, spürt den Drang zu malen. Doch da ist dieser innere Widerstand – der Perfektionismus, der ihre eigene Stimme zähmt, sie zweifeln lässt. Erst durch Yannick Pfeifer findet sie den Mut, sich von der Vorstellung des Perfekten zu lösen, sich dem Prozess hinzugeben. Kunst besteht nicht in Fehlerlosigkeit – sondern aus Imperfektion, Reduktion, Experiment.

Sie beginnt, sich selbst und ihre Themen klarer zu sehen. Ihre Bilder werden zu einem bewussten Dialog mit sich selbst, ein Versuch, sich anzunehmen – so, wie sie ist.

Zweimal residiert sie im f3 – das erste Mal mit Yannick Pfeifer, das zweite Mal allein. Ihre Residenz trägt den Namen „female rage“. Ein kraftvolles Statement. In ihren Werken verarbeitet sie die Wut, die Frauen in sich tragen – eine Wut, geboren aus Sexismus, strukturellen Ungleichheiten, tief verankerten Ungerechtigkeiten. Ihre Kunst wird ein Ventil, ein Sprachrohr. Persönlich, aber auch politisch.

2023 erhält sie das Förderstipendium der Stadt Rüsselsheim. Wer aufmerksam durch die Stadt geht, entdeckt überall ihre Spuren. Plakate, Logos, visuelle Identitäten – zuletzt bei der Taube. Ihre Arbeit ist sichtbar, selbst wenn sie es nicht immer ist.

Ein neuer Raum, ein neues Medium

Seit November teilt sie sich ein Atelier im Opel Altwerk. Ein Raum, der ihr erlaubt, weiter zu experimentieren – nicht nur mit Stil, sondern auch mit Material und Technik. Hier entwickelt sie eine neue Leidenschaft: Nähkunst. Ihre Nähtribals sind eine Symbiose aus Textur, Form und Emotion. Kürzlich stellt sie sie im Kunstverein Familie Montez aus – ein weiterer Beweis dafür, dass ihr künstlerisches Schaffen keine starren Grenzen kennt.

Ich lasse den Blick durch ihr Atelier schweifen, sehe Leinwände, Stoffe, Notizen. Das Altwerk bleibt ein Ort des Wandels. Seine Mauern, einst Symbole der Industrie, tragen nun Träume, Stimmen, Fragen.

Kunst und Kultur brauchen Multiplikatoren, Unterstützer – aber vor allem brauchen sie Räume. Orte, an denen sie sich entfalten können, Orte, an denen sie atmen dürfen.

Und das Altwerk bleibt hoffentlich genau so ein Ort.

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