
Ein roter Faden durch das Viertel
Es gibt Kunst, die betrachtet man – und es gibt Kunst, die spricht. Weiterreichen, das Werk von Anna Ingerfurth, gehört zur zweiten Kategorie. Es ist mehr als nur eine Wandgestaltung, es ist ein Zeichen – für Verbindung, für Austausch, für ein gemeinsames Leben in diesem Viertel.
Wie ein roter Faden zieht sich die Idee durch das Bild, ganz wörtlich und zugleich sinnbildlich. Inspiriert von der Bildsprache Lucas Cranachs des Älteren, greift die Künstlerin das Renaissance-Erbe auf und überführt es in die Gegenwart. Menschen, verknüpft durch eine unsichtbare, aber spürbare Linie. Ein stiller Dialog auf einer großen Fassade, mitten im Wohngebiet.
Das Malerviertel – Ein Stadtteil voller Kunst
Dieses Viertel war schon immer mehr als eine bloße Ansammlung von Straßen. Hier sind Kunst und Geschichte tief verwoben, nicht nur durch die Namen der großen Maler*innen, die die Straßenschilder zieren, sondern auch durch das, was hier geschieht. Dank eines Projekts der gewobau, der Rüsselsheimer Wohnungsbaugesellschaft, werden diese Namen mit neuem Leben gefüllt. Kunstschaffende aus ganz Deutschland setzen sich mit den alten Meistern auseinander und bringen ihre Werke auf moderne Weise zurück in den Stadtraum.
Doch für mich hat dieses Werk eine noch persönlichere Bedeutung. Genau hier, in diesem Haus, bin ich aufgewachsen. Die Lucas-Cranach-Straße war mehr als meine Adresse, sie war mein erster Berührungspunkt mit Kunst. Ich bin hier zur Schule gegangen, in die Albrecht-Dürer-Schule, und überall waren diese Namen – nicht nur auf Schildern, sondern in meinen Gedanken, in meinem Blick auf die Welt.
Damals war es Neugier, heute ist es eine tiefe Verbindung. Jetzt, viele Jahre später, kehrt Kunst auf eine neue Weise an diesen Ort zurück. Weiterreichen ist nicht nur ein künstlerisches Konzept, es ist Realität: Kunst, die von einer Generation zur nächsten getragen wird. Ein Bild, das nicht nur auf die Fassade gemalt wurde, sondern in das Gedächtnis derer, die es sehen.
Über die Künstlerin
Anna Ingerfurth wurde 1969 in Stuttgart geboren und studierte von 1989 bis 1998 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien, darunter in Amsterdam, Barcelona und Paris. Ihre Werke finden sich in den Sammlungen bedeutender Institutionen, wie dem Kunstmuseum Stuttgart und der Graphothek Stuttgart.
Ihr Schaffen bewegt sich zwischen Malerei, Collage und großformatiger Architekturkunst. Ihre Wandgemälde zieren öffentliche und private Gebäude in Deutschland, darunter das Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart und die Universitätsklinik Heidelberg. Ihr Stil verbindet geometrische Muster mit ornamentalen Strukturen, die ein rhythmisches Wechselspiel zwischen Fläche und Raum erzeugen.
Mit Weiterreichen hat sie nicht nur ein weiteres Kunstwerk geschaffen, sondern eine Botschaft hinterlassen – sichtbar, greifbar, weiterzutragen.