YANNICK PFEIFER

Zwischen Kunst und Raum – Yannick Pfeifer und die Taube

Ich treffe Yannick in der Taube, ein Glas-Hexadekagon auf dem Europaplatz, das Licht spiegelt sich in den Scheiben, während der Plattenspieler leise knistert. Er steckt mitten in Gesprächen, ein Freund hilft bei handwerklichen Aufgaben, ein anderer schaut spontan vorbei. Ideen fliegen zwischen ihnen, Pläne für das nächste Event formen sich in der Luft. Trotz der Geschäftigkeit ist seine Begrüßung warm, voller Vorfreude, als hätte er nur auf diesen Moment gewartet.

Wir nehmen Platz auf zwei Retro-Sesseln, die Szene wirkt wie eine Talkshow ohne Bühne, unser Publikum sind die Passanten, die neugierig durch die Fenster blicken. Ich frage ihn, wo er in Rüsselsheim aufgewachsen ist. In der Böllenseesiedlung, sagt er, erst Schillerschule, dann Max-Planck-Gymnasium. Erst in der Oberstufe entdeckt er seine Stärke in Mathematik und Physik, erkennt, dass er bleiben will, studiert Ingenieurwissenschaften an der Hochschule Rhein-Main, jetzt kurz vor dem Bachelor. Doch es zieht ihn immer wieder zur Kunst.

Die ersten Schritte in die Kunst

Die ersten Male, als Kunst für ihn ein Raum wurde, in den er eintauchte, waren mit Kevin Knöss, damals in der Abi-Zeit. Sie fangen an zu malen, nicht weil es naheliegt, sondern gerade weil es niemand in ihrem Umfeld tut. Sportler gibt es viele, Musiker auch, aber Kunst? Das macht es reizvoll. Yannicks Kinderzimmer wird zum Atelier, eine Leinwand nach der anderen wird übermalt, bis sie irgendwann ihre eigenen Keilrahmen bauen, weil der Platz zu klein wird für das, was sich entfaltet. Sie versinken im Malen, ein gemeinsamer Tanz in Farbe.

Während andere sich auf BWL stürzen, liest Yannick Künstlerbiografien. Regelmäßige Besuche im MMK, der Schirn, dem Städel. Als er die Basquiat-Ausstellung in der Schirn sieht, verändert sich etwas. Das Rohe, Expressive, die Unmittelbarkeit seiner Arbeiten – sie treffen ihn direkt. Sein eigenes Malen wird experimenteller, das Streben nach Kontrolle weicht dem Mut, das Unfertige stehen zu lassen.

Inspiration aus Rüsselsheim

Ich frage ihn nach dem ersten Moment, in dem Kunst in Rüsselsheim für ihn greifbar wurde. Er nennt die Arbeiten von Dan Worrall, urbane abstrakte Arbeiten im Rind, diesem Ort, an dem Subkultur eine Heimat findet. Und dann die Live-Painting-Aktion „10m Freiheit“, der Vorläufer dessen, was später der freiraum f3 wurde. Er erzählt von Künstlerkollektiven, von dem Moment, als er selbst Teil dieser Bewegung wurde. Als er sagt, dass „10m Freiheit“ vom Kollektiv Heimatlos organisiert wurde, halte ich kurz inne. Ich war Teil davon. Es ist ein seltener Moment, wenn sich das eigene Wirken auf eine unerwartete Weise zurückspiegelt.

Vom Künstlerkollektiv zur eigenen Handschrift

Kurz danach ist er Residenzkünstler im f3, damals noch als Teil des club d’art percevant mit Kevin Knöss und Dennis Albrecht. Es folgen Gemeinschaftsausstellungen, Performances in der Innenstadt, darunter eine Aktion mit Schweineblut als Reaktion auf den brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Es entstehen Assoziationen zu Hermann Nitsch, dessen Arbeiten mit der physischen Präsenz von Farbe und Material konfrontieren. Der Name Nitsch wird in Yannicks Leben noch einmal eine Rolle spielen.

Kunst in Bewegung – Räume als Möglichkeitsfelder

Nach f3 zieht es ihn ins Rollwerk, dann ins Altwerk, sein erstes eigenes Atelier. Dort entstehen Freundschaften, Gespräche bis spät in die Nacht, Diskussionen über Kunst, Material, Ausdruck. Die Räume werden zu Werkstätten, in denen nicht nur Bilder, sondern auch Ideen entstehen. Mit Emanuel Heim, taucht er noch tiefer ein in Fragen nach Raum und Wirkung.

Er beginnt zu kuratieren, erst in kleinen Formaten, dann mit der Kunststraße im Rahmen des Bel R! Festivals. Leerstände verwandeln sich in Pop-Up-Galerien, in Schaufenstern wird Kunst sichtbar, mitten in der Stadt. Im ersten Jahr sind es 15 Künstler:innen, im nächsten 23. Parallel jobbt er in den Opelvillen, fragt beim Kunstverein Familie Montez nach einer Stelle, lernt dort Mirek Macke kennen, dessen unkonventioneller Blick auf Kunst ihn sofort fasziniert. Yannick übernimmt Hängungen, beginnt zu verstehen, dass Kuratieren eine eigene Kunstform ist – eine, die ihn genauso reizt wie das eigene Schaffen.

Dann kommt der Moment, in dem Macke ihn fragt, ob er Lust hätte, nach Österreich zu gehen, an einer Performance von Hermann Nitsch teilzunehmen. Für Yannick keine Frage. Es wird ein unvergesslicher Moment.

Der Traum vom eigenen Kunstraum

Doch sein eigentliches Ziel bleibt ein eigener Raum, ein Ort, an dem Kunst nicht nur gezeigt, sondern gelebt wird. Zusammen mit Lisa Rost sucht er nach einem geeigneten Ort. Anfang des Jahres, während einer Marokkoreise, kommt der Anruf. Aenne-Blumen wird frei. Ein ehemaliges Blumengeschäft, zuletzt vom Malkasten e.V. genutzt, nun wieder vakant. Yannick zögert nicht, nimmt Kontakt auf mit dem Eigentümer Carsten Rückert, kurz danach ist der Vertrag unterschrieben.

Die Taube entsteht. Ein Offspace, eine Galerie, ein Experimentierraum. Die Eröffnung ist vorbei, der erste Künstler hat ausgestellt, weitere stehen schon fest. Und während wir dort sitzen, auf den Sesseln, mitten in diesem neuen Raum, wird klar: Das ist erst der Anfang.

Was bereits feststeht: Yannick wird Kunst studieren.

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