BENNY BECKER

Ein Wiedersehen im Rollwerk

Ich rufe Benny an, um ihm zu sagen, dass ich mich ein wenig verspäte. Er nimmt es gelassen, wie immer. Es ist, als würde er nie stillstehen, immer in Bewegung, zwischen zwei Terminen, zwischen zwei Projekten. Doch Hektik liegt ihm nicht. Als ich am Rollwerk ankomme, strahlt die Sonne, fast unpassend für die leise Wehmut, die in mir aufkommt. Nach so langer Zeit wieder im Altwerk zu stehen, fühlt sich seltsam an, vertraut und fremd zugleich. Die Erinnerungen liegen in der Luft, eingefangen zwischen rostigen Stahlträgern und alten Backsteinmauern.

Das Rollwerk hat noch geschlossen, doch Benny öffnet die Tür, ein Lächeln im Gesicht. Es ist eines dieser Wiedersehen, die sich nicht an der Zeit messen lassen, die vergangen ist. Wir fallen in die alte Vertrautheit zurück, als wäre sie nie unterbrochen worden.

Die frühen Jahre – Handwerk und Skateboarding

Benny macht uns zwei Kaffee. Wir setzen uns auf die Terrasse, auch wenn der offizielle Betrieb erst am Nachmittag beginnt. Doch im Rollwerk gibt es keine wirklichen Pausen. Ehrenamtliche Helfer:innen sind bereits bei der Arbeit, man hört das Surren von Werkzeugen, leises Lachen, das Klappern von Brettern. Es ist ein Ort, der nie wirklich stillsteht.

Benny erzählt von seiner Kindheit, von der Friedrich-Ebert-Siedlung, von dem Haus, das sein Onkel mit dessen Vater baute, in einer Zeit, als die Stadt von Rudolf Otto auf dem Reißbrett geplant wurde. Sein Vater – ein Handwerker durch und durch. Im Haus gab es nichts, was er nicht selbst gemacht hatte. Diese Haltung übertrug sich auf Benny. Er entdeckte früh seine Leidenschaft für Holz, für das Bauen, für die Idee, aus einem rohen Material etwas zu erschaffen. Und dann war da das Skateboarding. Es zog ihn hinein in eine Welt, die ihn nicht mehr losließ. Er baute seine ersten Rampen, gestaltete seine ersten Bretter. Und irgendwann war klar: Das würde ihn weiter begleiten.

Er entschied sich für eine Ausbildung zum Tischler. Sein Onkel, der bei Opel arbeitete, brachte ihn auf die Idee, sich bei der Modellbauschreinerei zu bewerben. In seiner Bewerbung tauchten seine selbstgebauten Skateboards auf – sie wurden zum Schlüssel. Mit 16 war er der jüngste Azubi, verkürzte seine Lehrzeit, wechselte später ins ITEZ, in die Designabteilung. Tagsüber arbeitete er, abends holte er seinen Techniker nach. Sein Ziel: Maschinenbauingenieur werden.

Ich muss schmunzeln. Auch ich hatte diesen Plan.Ich hatte meine Praktika bei Opel absolviert, fest entschlossen, auch Maschinenbau zu studieren. Doch Pläne sind oft nur Skizzen. Das Leben zeichnet anders.

Der Richtungswechsel – Von der Sicherheit ins Ungewisse

Während seiner Zeit bei Opel lernte Benny Ines Langer kennen. Sie hatte ursprünglich denselben Weg eingeschlagen, studierte inzwischen Design an der HFG Offenbach. Die Gespräche mit ihr ließen ihn nachdenken. Er hatte beruflich viel erreicht, baute unter anderem den 3D-Druck-Bereich in der Design-Abteilung auf. Aber war das genug? Sollte es das gewesen sein? Die Fragen wurden lauter. Und irgendwann fiel die Entscheidung. Er hing den festen Job an den Nagel und begann ein Designstudium in Darmstadt am Fachbereich Gestaltung. Er arbeitete bereits im Rind und gerade die Formate PhonoPop und das TreburOpenAir, prägen ihn massgeblich – 10 Jahre, die mehr als eine Basis sind für das was mit Rollwerk noch passieren wird.

Von der Idee zur Bewegung – die Gründung von B´skateboarding

Parallel dazu fiel ihm etwas auf: Der Skatepark war oft leer. Die Szene schien zu verschwinden. Er wollte das ändern. Also ging er auf die Jugendförderung zu, plante mit Freunden Workshops, schrieb Sponsoren an, organisierte, machte. Und es funktionierte. Der Andrang war groß. Benny und seine Freunde beschlossen, das weiter auszubauen – der Verein B´skateboarding wurde 2017 geboren.

Die Gemeinschaft zog ihn in ihren Bann. Hier zählte direkte Wertschätzung, Zusammenhalt, Raum für eigene Entfaltung. Das, was ihm als Kind in der Szene Halt gab, festigte sich im Erwachsenenleben. Wieder war es das Skateboard, das ihm Türen öffnete. Der Verein etablierte sich. Benny sprach im Jugendforum, setzte sich für die Erweiterung des Skateparks ein. Als das Projekt bewilligt wurde, feierten sie mit einem einzigartigen Jamformat. 2017 folgte die erste Rollrausch-Veranstaltung – Hip-Hop, Punkrock, Sprüher, BMXer, Skateboarder. Ein Fest für die Szene. Es wurde der größte Contest der Region. Der Schlüssel? Nicht nur Organisation, sondern das Gefühl, das in allem steckte. Eine familiäre Atmosphäre, die Benny nun auch im Rollwerk weiterleben lässt.

Kunst, die rollt – Die Holzwelle und Skate-Kultur

Mit Rollrausch wagte Benny den Schritt in den öffentlichen Raum. Gemeinsam mit Clemens Heidolf entwarf er eine überdimensionale Holzwelle – ein Kunstwerk, das mit jeder Rollrausch-Jam weitergeschrieben wurde.

Doch Benny wäre nicht Benny, wenn er es dabei belassen hätte. Er dachte weiter. 2021 wurde aus der Welle eine Rampe für den Kultursommer, aus der überdimensionalen Form ein überdimensionales Buch. Ein Stück Geschichte, auf dem man fahren konnte. Umgesetzt mit Yannick Pfeifer, der inzwischen die Taube führt, eine Galerie in der Innenstadt. So entstand eine Skatehallen-Promo-Veranstaltung skateKultur – 2024 wird daraus der Name des Verein, der all diese Projekte unter einem Dach vereinte.

Das Rollwerk – Eine Halle für Bewegung und Kultur

Parallel zur Skateschule die 2015 existierte, kam eine neue Idee. Benny´s Partnerin Paula Fett beobachtete die wartenden Eltern. Warum nicht ein Angebot für sie schaffen? Das Café Horst entstand – ein Tresen in einem alten Bus, eine Kaffeemaschine, ein Platz zum Verweilen.

Doch es blieb nicht dabei. Benny wollte mehr. Er stellte sein Konzept der Jugendförderung vor, fand Unterstützung in der Wirtschaftsförderung, knüpfte Kontakte zur Motorworld. Das Rollwerk nahm Gestalt an.

Doch eine Halle nur für den Saisonbetrieb machte wenig Sinn. Die Offseason brauchte ein Programm. Konzerte, Ausstellungen, Poetry Slams – ein Raum für Künstler:innen und Bewegungskünstler:innen. All das im Opel Altwerk.

Hoffnung auf eine Zukunft

Während wir reden, sehe ich nicht nur die Begeisterung in Bennys Augen, sondern auch die Last, die damit einhergeht. Die Opfer, die er gebracht hat. Das Projekt ist erfolgreich, aber es ist nicht dauerhaft. Noch nicht. Ich hoffe, dass sich eine feste Fläche für das Rollwerk finden lässt.

Plötzlich klingelt es an der Tür. Eine Kindergruppe kommt zum Skateunterricht. Benny begrüßt die Kids, nimmt sich Zeit. Man spürt sofort: Hier geht es um mehr als nur Sport. Es geht darum, einen Raum zu schaffen, in dem Menschen das tun können, was sie lieben.

Als ich mich verabschiede, spüre ich es: Das war nicht unser letztes Gespräch. Uns beiden ist klar – wir haben uns noch viel zu erzählen.

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