STEPHAN A. DUDEK

Der Chronist

Der Blick für das Ganze

Wer sich mit der Kulturlandschaft Rüsselsheims beschäftigt, der kommt wahrscheinlich zu einer ähnlichen Schlussfolgerung: Es braucht Menschen, die sich auskennen. Die die kleinen wie die großen kreativen Reisen begleiten, die den Atem der Vergangenheit spüren, das Flirren der Gegenwart einordnen und aus beidem heraus eine Vision für die Zukunft entwickeln. Menschen, die nicht nur beobachten, sondern einordnen – nicht nur berichten, sondern verbinden.

Mein heutiger Gesprächspartner ist für mich genau so jemand: Stephan A. Dudek.

Begegnungen

Es war im Jahr 2017, als wir uns das erste Mal persönlich trafen. Ein Anruf, ein Termin, ein Hausbesuch. Stephan A. Dudek kam nach Königstädten, um mit mir über die ArtMap zu sprechen – ein Projekt, das damals neu, vielleicht sogar etwas innovativ war. Eine Karte, die sich nicht nur auf Kunst beschränkte, sondern Fragen stellte: nach Öffentlichkeit, nach Erinnerung, nach Sichtbarkeit.

Stephan schrieb für die Main-Spitze, die regionale Tageszeitung, die als Teil der VRM jahrzehntelang für fundierte lokale Berichterstattung stand. Sein Artikel über mein Projekt war nicht nur Bericht – er war ein Türöffner. Er führte zu einem Interview mit der FAZ, später zum Hessischen Rundfunk.

Aber vielleicht noch wichtiger: Er war ein Perspektivwechsel. Ein lokaler Blick, der Rüsselsheim plötzlich von außen sichtbar machte. Aus dem ersten Artikel wurde mehr. Es entstand eine achtwöchige ArtMap-Serie, in der ich in jeder Ausgabe eine Skulptur im öffentlichen Raum vorstellte – mit Kontext, Recherche, Reflexion. Eine Einladung zum Hinsehen. Auch das war Stephan: Er hat mir diesen Raum gegeben.

Der Junge mit dem Stift

Stephan wurde in Darmstadt geboren, wuchs aber in Nauheim auf – und lebt bis heute im Haus seiner Kindheit. Schon als Jugendlicher wusste er, dass Sprache sein Medium war. Mit 16 Jahren wurde an einem Heiligabend sein erster Artikel veröffentlicht – ein frühes Signal, dass da jemand war, der hinschauen konnte.

Nach dem Abitur versuchte er sich zunächst an Volkswirtschaftslehre, absolvierte dann eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Doch kurz vor der Übernahme bot sich 1979 eine andere Tür: ein Volontariat bei der Main-Spitze.

Die Zeitung stand damals im Wandel. Der neue Leiter, Willi Wirth, hatte Mut zur Veränderung. Er forderte Ideen – und Stephan, damals noch zurückhaltend, reichte einen Vorschlag ein: ein neues Layout für einen lokalen Kulturteil. Die Reaktion: „Die hängen wir am Samstag rein.“ 

Was folgte, waren 40 Jahre Kulturberichterstattung. Eine Konstante. Eine Stimme.

Stimmen, die bleiben

Stephan begleitete über Jahrzehnte hinweg Künstler:innen, politische Entwicklungen und kulturelle Diskurse. Namen wie Inge BesgenHans DiebschlagMichael Riedel, die Wendemaler, Ottmar Hörl, Mario Hergueta, Werner Neuwirth aber auch Kurt Röder, Heinz ZettlJo DreiseitelGerhard Löffert oder Dennis Grieser sind nicht nur Teil der Stadtgeschichte – sie sind auch Teil seiner Chronik.

Gerhard Löffert, Kulturdezernent der 1980er-Jahre, wagte Provokation, etwa mit der Beauftragung der „Wendemaler“, die Adam Opel im Ausweisformat an die Passamtwand malten – ein Bild, das Diskussionen auslöste. Löffert verstand Kultur als Reibungsfläche, nicht als Dekoration.

Dennis Grieser, langjähriger Bürgermeister und Grünen-Politiker, war dagegen die leise Kraft: integrativ, kulturfreundlich, nah an den Menschen. Unter seiner Ägide entstand der Kunstpfad.

Stephan regte mit seinen Artikeln zum Diskurs an, war kritische Stimme und Denkimpulsgeber. Diese vierte Gewalt ist heute nicht mehr so stark.

Ich erinnere mich gerne an unsere Interviews. An die Möglichkeit, Gedanken zu teilen – und sie durch Worte mit anderen in einen Resonanzraum zu schicken. Ich werde nie vergessen, wie ich bei einem Gespräch erwähnte, dass ich auf der Suche nach Atelierfläche sei – und kurz darauf eine Einladung zur Besichtigung des F-Baus erhielt. Aus dieser Begegnung wurde das Chausseehaus.

Ohne Stephans Bericht wäre dieser Weg vielleicht nicht offen gewesen.

Jazz als Haltung – und Verantwortung

Neben der Main-Spitze ist Stephan untrennbar mit der Jazz-Fabrik Rüsselsheim verbunden. Seit 1997 prägt sie als Netzwerk die Jazzszene der Region. Und Stephan, ehrenamtlich als künstlerischer Leiter, war oft derjenige, der Brücken schlug – zwischen Tradition und Experiment, zwischen Bühne und Nachwuchs.

Stephan A. Dudek kuratierte in seiner Rolle als künstlerischer Leiter der Jazz-Fabrik Konzerte mit internationalen Größen wie dem Pat Metheny TrioDave Brubeck oder dem Pulitzerpreisträger Henry Threadgill – Namen, die man eher auf Festivalbühnen in New York, Paris oder Montreux vermuten würde. Dass solche Acts in Rüsselsheim spielten, ist auch seinem Gespür für Qualität und Atmosphäre zu verdanken. Gleich das erste große Konzert – mit Funklegende Maceo Parker – lockte über 600 Gäste an. Es war mehr als ein Auftakt. Es war ein Signal: Auch hier kann große Musik stattfinden. Und Menschen kommen.

Doch ebenso wichtig war ihm die Nähe zur Szene vor Ort. Künstler wie Stephan Völker, ein preisgekrönter Saxophonist und Dozent, dessen musikalischer Radius von klassischem Jazz bis zu freier Improvisation reicht. Oder Matthias Vogt, Jazzpianist, DJ und Produzent, der mit Projekten wie [re:jazz] und Motorcitysoul den Dialog zwischen akustischer Tiefe und elektronischer Fläche sucht. Auch Fabian Dudek, ein junger Saxophonist mit avantgardistischem Klangbewusstsein, gehört zu dieser lebendigen Szene.

Doch Talente allein genügen nicht – es braucht Räume, Strukturen, Netzwerke. Und genau hier kommt die Jazz-Fabrik ins Spiel. Sie ist Bühne, Plattform und Möglichkeitsraum. Eine Verbindung zwischen Institutionen, die zusammen mehr ergeben als die Summe ihrer Teile.

Denn Kunst entsteht nicht nur durch Kreativität. Sie braucht auch Menschen, die sie ernst nehmen – wie Stephan A. Dudek.

Die Jazz-Fabrik ist dabei kein Einzelprojekt, sondern ein Zusammenschluss mehrerer engagierter Partner: Die städtische Kultur123, das Kulturzentrum „Das Rind“, der Verein IKS Jazz e.V., der Folk- und Jazzclub Dorflinde sowie die Konzertreihe Jazz im Inselhof gestalten gemeinsam ein vielfältiges Programm.

Und sie denkt über den reinen Konzertbetrieb hinaus: So entstanden Ausstellungen in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein Rüsselsheim, etwa die beeindruckende Fotoausstellung The Look of Jazz von Frank Schindelbeck, die den Jazz nicht nur hörbar, sondern sichtbar machte – als Moment, als Haltung, als Ausdruck. Auch hier zeigt sich, wie umfassend Stephan A. Dudek das Thema Jazz verstand: nicht nur als Klang, sondern als kulturelles Ganzes.

Und immer wieder: Workshops, Begegnungen, Nachwuchsförderung – für junge Musiker:innen, die eine Bühne brauchen, um gehört zu werden.

Eine spürbare Lücke

Stephan ist nie laut gewesen. Aber sein Fehlen ist es.

Wenn ich heute durch die Stadt gehe, wenn ich Kulturveranstaltungen erlebe oder neue Projekte beginne, dann fehlt mir oft diese eine Perspektive. Der analytische Blick. Die Bereitschaft zum Diskurs. Das Interesse an Hintergründen.

Ich denke oft an unsere Gespräche. An das Vertrauen. An den Raum, den seine Texte geschaffen haben, um Dinge zu durchdenken.

Und ich hoffe, dass irgendwann wieder eine Stimme laut wird, die nicht nur beschreibt, sondern bewegt.

So wie Stephan A. Dudek es getan hat – für eine Stadt, für eine Szene, für eine Haltung.

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