
Von stillen Begegnungen, offenen Räumen und der Kraft, Teilhabe möglich zu machen
Manche Menschen waren immer da
Auch wenn man sich persönlich kaum begegnet ist – es gibt sie, diese leisen Lebenslinien, die sich über Jahrzehnte wie unsichtbare Fäden durch die eigene Geschichte ziehen. Menschen, deren Wirken man spürt, obwohl man ihre Stimme nie gehört hat. Deren Entscheidungen und Haltungen Räume schaffen, in denen andere atmen, sich ausprobieren oder über sich hinauswachsen können.
So ein Mensch ist Petra Neumüller für mich. Unsere Wege haben sich immer wieder gekreuzt, fast wie Absicht – aber ohne je zur Begegnung zu werden. Bis jetzt.

Ich treffe Petra in ihrem neuen Büro, mitten im Herzen der Stadt, im Rathaus am Marktplatz 4. Hier leitet sie die neu geschaffene Stabsstelle „Kultur und Vielfalt“. Ein Raum, der nicht nur physisch neu ist – sondern auch ideell. Zwischen noch unausgepackten Kisten und flackernden Bildschirmen ist schon jetzt spürbar, wie sehr sie diesen Ort mit Haltung füllt.
Rückblicke auf den Buschpalast
Petra erzählt, dass sie ursprünglich aus dem Saarland kommt. Wegen ihres Studiums – Soziale Arbeit und Pädagogik – zieht es sie nach Frankfurt. Ihre ersten beruflichen Schritte geht sie im Jugendbildungswerk Groß-Gerau.
Im Dezember 1989 kommt sie dann nach Rüsselsheim – ins Jugendhaus Dicker Busch 2. Dort, wo ich zur gleichen Zeit als Teenager mit meinem Skizzenblock zwischen Breakdance, Graffiti und Hiphop den Großstadt-Atem suchte. Wir nannten das Haus liebevoll den Buschpalast.
Petra erinnert sich lebhaft an meine damaligen Nachbarn. An mich nicht. Ich war zu leise, zu scheu. Und trotzdem waren es Menschen wie sie, die meine Welt möglich machten – ohne, dass ich es wusste.
Jugendräume sind Möglichkeitsräume
Wer wie ich im „Dicken Busch“ aufgewachsen ist, weiß, wie wichtig solche Orte sind. Jugendhäuser sind keine Gebäude – sie sind Schutzräume, Begegnungsorte, kreative Werkstätten.
Gerade für junge Menschen, denen familiär oder gesellschaftlich nicht dieselben Türen offenstehen, wie anderen. Die vielleicht nicht gelernt haben, laut zu sein, aber dafür tiefer sehen.
Petra hat diese Räume mitgestaltet. Mit Herz, Haltung und Klarheit. Später auch im Jugendhaus Berliner Viertel – wieder ein Ort, an dem sich meine Wege mit ihren unmerklich kreuzten. Freunde von mir organisierten dort Ende der 90er Hiphop-Partys. Ich erinnere mich an die Energie, das Gemeinschaftsgefühl, die Überzeugung: Wir gehören hierher.
Von der Straße ins Rathaus
2006 dann ein Anruf: Ob sie sich vorstellen könne, im Rathaus zu arbeiten. Verwaltung.
Was für manche nach System klingt, war für Petra eine Chance. Strukturen nicht nur zu nutzen, sondern mitzugestalten. Perspektiven zu ermöglichen – nicht nur im direkten Kontakt, sondern auch durch strategische Entscheidungen.
Sie arbeitete eng mit den Bereichen Jugend und Soziales zusammen, begleitete kulturelle Entwicklungen, war die Brücke zwischen Dezernat, Eigenbetrieb und der freien Kulturszene. Immer mit dem Blick auf das Ganze, aber nie ohne die Einzelnen aus dem Blick zu verlieren.
Ein Engagement, das über Räume hinausgeht
Während der Corona-Pandemie war Petra als Büroleitung des damaligen Bürgermeisters Dennis Grieser im Leitungsteam des Verwaltungsstabs Corona. Eine Phase, die viele an ihre Belastungsgrenzen brachte.
Und doch: Kein einziger Schließtag in der Stadtverwaltung. Kontinuität, während alles schwankte. Auch das ist Teil ihrer Handschrift: verlässlich, empathisch, wirksam.
Parallel engagierte sie sich über Jahre im Verein Auszeit e.V., den sie 1998 mitbegründete – für soziale Projekte in Rüsselsheim, für Kinder, die durch das Raster fallen. Für neue Anfänge, jenseits der Norm.
Neue Aufgaben. Gleiche Haltung.
Heute leitet Petra Neumüller die Stabsstelle „Kultur und Vielfalt“. Eine Schnittstelle, die endlich das bündelt, was sie seit Jahrzehnten lebt: die Verbindung von gesellschaftlicher Teilhabe, kulturellem Reichtum und kommunaler Verantwortung.

Es geht ihr nicht um Eventplanung oder Symbolpolitik. Es geht um gelebte Vielfalt. Um die Frage, wie eine Stadt wirklich alle einschließen kann – nicht nur auf dem Papier.
Sie glaubt an die Kraft von Begegnung, an die Möglichkeit von Entwicklung, an die Relevanz von Kultur – gerade in Zeiten von Ausgrenzung, Vorurteilen und Spaltung.
Ein Gespräch mit Tiefe
Als ich das Büro verlasse, bleibt ein warmes Gefühl. Nicht nur wegen der Erinnerungen, die unser Gespräch wachgerufen hat. Sondern weil ich einmal mehr spüre, dass Veränderung möglich ist – wenn Menschen wie Petra Neumüller sie tragen.
Rüsselsheim hat viele Stimmen. Ihre ist eine der Wichtigen. Auch wenn sie nie laut war – sie war immer da.